: Ventil für schäumende Temperamente
■ Die Flamenco-Königin Maria Serrano gastiert mit ihrem neuen Programm in der Hansestadt
Leidenschaft, Trauer, Stolz, Wut, Sehnsucht und Hingabe. Flamenco, der alte spanische Nationaltanz, den die Roma vor fünfhundert Jahren nach Spanien brachten, verkörpert diese Gefühle in Reinkultur. Flamenco braucht Konzentration, technische Perfektion und mimische Ausdruckskraft. Die Andalusierin Maria Serrano beherrscht diese Kunst perfekt. In Spanien gilt die 24jährige als „Königin des Flamenco“, hierzulande bezeichnet man sie auch als „Voodoo-Königin des Flamenco“. Am Donnerstag, dem 28. November 96 ist Maria Serrano mit ihrer Compania Flamenca Alhama im Pier 2 zu sehen.
taz: Ihre Tournee heißt „Flamenco es mi vida – Flamenco ist mein Leben“ ...
Maria Serrano: ...weil ich damit viele Gefühle ausdrücken kann. Freude, Trauer, alles. Außerdem ist es meine Arbeit, davon lebe ich. Aus welcher Tradition kommt der Flamenco?
Seine Wurzeln reichen sehr weit zurück. Er ist eine Mixtur der Völker, die durch Andalusien gekommen sind. Großen Einfluß hatte die indische Kultur, die die Zigeuner nach Andalusien mitgebracht haben. Sie haben den Flamenco verbreitet. Die arabischen Musik-Elemente stammen aus der Zeit der Belagerung durch die Mauren.
Flamenco wird hierzulande nicht selten als spanische Folklore bezeichnet.
Das stimmt auf keinen Fall! Man verwechselt den Flamenco mit der „Sevillana“, einem Tanz aus Sevilla, der in Spanien verbreitet ist.
Welche Bedeutung hat der Flamenco in Andalusien?
Dort wird er vor allem von den Minderheiten getanzt. Die Zigeuner tanzen und leben ihn und man findet ihn unter den einfachen Menschen. Die Reichen haben sich immer dafür interessiert, aber sie tanzen nicht selbst, sondern holen sich die Gruppen auf ihre Feste.
Der Flamenco hat sich aus volkstümlichen Tanzliedern entwickelt. Spiegelt er, ähnlich wie der Tango, neben den großen Gefühlen auch die soziale Situation wieder?
Er ist auf jeden Fall ein Ventil, um sich Luft zu verschaffen. Auch heute noch sind in Andalusien viele Menschen arm. Viele aus meinem Ensemble kommen, wie ich selbst, aus ärmlichen Verhältnissen. Aber eine richtige Flamencoausbildung ist teuer.
War es Ihr Traum, eine der besten Tänzerinnen zu werden?
Nein, eigentlich nicht. Aber bei uns ist es Tradition, daß schon die kleinen Mädchen auf den Volksfesten in Trachten tanzen. Und wie alle Mütter, wollte auch meine, daß ich die Sevillana tanzen lerne. Irgendwann habe ich Feuer gefangen. Ich bin zur Schule gegangen und habe abends gearbeitet, weil ich Geld für den Unterricht verdienen und außerdem meine Familie unterstützen mußte.
André Heller entdeckte Sie für seine Revue „Magneten“.
Ja, dafür bin ich ihm sehr dankbar. Dadurch haben sich für mich viele Türen geöffnet. Ich habe in Stuttgart, der deutschen „Flamencohauptstadt“ eine Schule gegründet. Außerdem habe ich ein halbes Jahr in Tokio gearbeitet. Dort gibt es ebenfalls ein reges Flamenco-Leben.
Der erste Teil von „Flamenco es mi vida“ ist eine Hommage an den spanischen Komponisten Manuel de Falla. Warum?
1996 jährt sich sein 50. Todestag und er war ein großartiger Musiker und Komponist. Wir sind ihm dankbar, weil er dem Flamenco große Dienste erwiesen hat. Damals wurde der Flamenco in Opern verwässert. 1922 hat de Falla mit García Lorca einen Flamenco-Wettbewerb ausgerufen, um die jungen Talente Andalusiens herauszulocken. Damit hat er den ursprünglichen Flamenco gerettet. Wir bearbeiten die Musik de Fallas so, wie wir ihn verstehen, indem wir z.B. seine Kompositionen mit unseren Rhythmen verbinden.
Außerdem wollen Sie mit lateinamerikanischen und Jazz-Elementen neue Akzente setzen.
Das heißt nicht, daß wir den Flamenco auf Teufel komm raus erneuern wollen. Wir präsentieren ihn in seiner aktuellen Form, die von lateinamerikanischen Salsa-Rhythmen und dem Jazz beeinflusst ist.
Außerdem bietet unser Programm noch etwas Besonderes: Unseren Freund Riyad el Arif aus Bagdad. Er ist eigentlich Professor für Krisenmanagement, aber weil er den Flamenco so liebt, geht er mit uns auf Tournee. El Arif erzählt dem Publikum alles über den Flamenco. Er ist ein großer Poet und Geschichtenerzähler.
Interview: Beate Hoffmann
Maria Serrano, am Donnerstag, 28.11.1996 im Pier 2.
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