piwik no script img

Richter ohne Recht Von Ralf Sotscheck

Es war ein merkwürdiges Schauspiel: Sechzehn Mal öffneten sich in der Nacht zum Donnerstag die Tore von drei irischen Gefängnissen, doch kaum hatten die Gefangenen einen Fuß in die Freiheit gesetzt, da wurden sie wieder verhaftet. Die meisten sind der Mitgliedschaft in der IRA beschuldigt, ein anderer nennt sich „Schottische Nationale Befreiungsarmee“ und soll dem britischen Labour-Chef Tony Blair mehrere Päckchen mit Brandsätzen geschickt haben.

Der Grund für den nächtlichen Ausflug ist bizarr. Der Richter Dominic Lynch hatte im Sommer seine Versetzung vom Dubliner Strafgericht beantragt. Am 1. August gab die Regierung dem Gesuch statt. Nur vergaß man leider, den Richter davon zu informieren. So verhängte Lynch zunächst munter weiter seine Urteile. Anfang Oktober merkte Generalstaatsanwalt Dermot Gleeson, daß da jemand unbefugt richtete, und er schrieb an die Justizministerin Nora Owen. Da passierte abermals ein Patzer: Sie habe den Brief gar nicht gelesen, sagt Owen. Und Gleeson fragte nicht nach, obwohl sich die beiden fast täglich treffen.

Inzwischen hatten aber die Anwälte der 16 Gefangenen Wind von der Sache bekommen und beim Ministerium nachgefragt. Ein Justizbeamter geriet in Panik. Owen saß gerade in der irischen Premiere des Jordan-Films über den IRA-Mann Michael Collins, einen Großonkel der Ministerin, als ihr Handy klingelte. Die anderen Kinobesucher werden sich gefreut haben. Während ihr Onkel auf der Leinwand die Erschießung von vierzehn britischen Agenten befahl, ordnete Nora Owen den Spaziergang zum Gefängnistor an.

Am nächsten Mittag stellte man die 16 Männer vor Gericht, damit ein echter Richter Untersuchungshaft verhängen konnte. Doch wieder passierte ein Mißgeschick: Die Polizei hatte zwei Gefangene verwechselt, weil sie den selben Nachnamen hatten. Und der letzte, der in den Saal geführt wurde, hatte keinen Anwalt, weil die Polizei ihm nicht Bescheid gesagt hatte. Nun platzte dem Richter der Kragen: „Schon wieder ein Fehler“, schnaubte er und gab dem Staatsanwalt Peter Charleton zwei Minuten, um einen Anwalt anzurufen. Das werde er gerne tun, antwortete Charleton vorlaut, was dem Richter den Rest seiner Fassung raubte: „Natürlich werden sie das“, tobte er, „sie haben nämlich gar keine andere Wahl. Und jetzt verschwinden sie und sorgen für eine ordnungsgemäße Anklage.“

Einer der Gefangenen hatte schon früher mit der Unfähigkeit irischer Behörden freudige Bekanntschaft gemacht. Anthony Duncan sollte nach Großbritannien ausgeliefert werden, doch die Polizei hatte den Auslieferungsantrag versehentlich in den Reißwolf gegeben. So legte man dem Richter eine Kopie vor, die aber nicht abgestempelt war. Der Richter haute dem Beamten das Papier um die Ohren und schickte Duncan zurück in den irischen Knast. Dem algerischen Flüchtling Madani Haouanoh erging es vorige Woche umgekehrt: Als der Richter seiner Asylbewerbung stattgab, hatte die Polizei ihn bereits abgeschoben.

Die Oppositionsparteien konnten die neueste Farce zunächst gar nicht glauben. Dann beschlossen sie, in dieser Woche einen Mißtrauensantrag gegen die Justizministerin zu stellen. Hoffentlich informiert man sie, wenn dem Antrag stattgegeben wird.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen