: Kommunisten und Konservative gegen das Universum
■ Erst mit Steuergeldern aufpumpen, dann an die koreanische Daewoo verkaufen: Die französische Regierung will den Elektronikkonzen Thomson privatisieren
Paris (taz) – Kennen Sie Daewoo? Das ist koreanisch, bedeutet „großes Universum“ und ist den Franzosen ein gigantisches Problem. Das Unternehmen mit weltweit 191.000 Beschäftigten und einem Chef, der stolz darauf ist, daß er den einzigen freien Tag seines Berufslebens aus Anlaß der Hochzeit seiner Tochter nahm, schickt sich an, ein sogenanntes Glanzstück der staatlichen französischen Industrie zu kaufen, die Thomson Multimedia. Preis: 1 Franc (rund 30 Pfennig).
Die Privatisierung der traditionsreichen Gruppe Thomson SA, die sowohl zivile als auch militärische Elektronik herstellt, hatte Staatspräsident Jacques Chirac persönlich angekündigt. Sie ist Teil der letzten Stufe der seit Mitte der achtziger Jahre laufenden Privatisierungen des einstmals großen staatlichen Wirtschaftskomplexes. Im Februar hatte Chirac versprochen, die Operation werde in völliger Transparenz und ohne Zerstückelung von Thomson SA ablaufen.
Neun Monate später ist das Gegenteil eingetreten: Die Gruppe mit weltweit 96.000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von 72 Milliarden Franc (22 Milliarden Mark) soll nach top-secret verlaufenen Verhandlungen und ohne öffentliche Ausschreibung an zwei Unternehmen gehen. Der französische Konzern Matra-Hachette (Rüstung, Medien, Filmindustrie, Banken) will den militärischen Teil Thomson CSF übernehmen. Die koreanische Daewoo (Autos, Schiffsbau, Elektronik) soll Thomson Multimedia bekommen.
Damit der Brocken nicht zu schwer verdaulich ist, will der französische Staat das mit 23,8 Milliarden Franc (7,2 Milliarden Mark) verschuldete Unternehmen vor der Privatisierung noch mit 11 Milliarden Franc „rekapitalisieren“. Weitere 3,5 Milliarden Franc (1,1 Milliarden Mark) aus Steuergeldern sollen dazu dienen, den Anteil an der Bank Crédit Lyonnais zurückzukaufen, den Thomson hält.
Premierminister Alain Juppé, der freundschaftliche Kontakte zu Matra-Hachette-Chef Jean-Luc Làgardere hat, erklärte die Privatisierung mit Worten, die ihm fast das ganze Land übelnimmt. „Thomson ist nichts wert“, sagte er Ende Oktober, als er seine Privatisierungsabsicht bekanntgab. Damit löste er einen Sturm der Entrüstung aus, der quer durch alle Lager der französischen Gesellschaft geht und nicht mehr abebben will.
Den Anfang der Proteste machten die Arbeiter und Gewerkschaften mit Demonstrationen und Streiks an verschiedenen Produktionsstätten von Thomson. Dann folgten die leitenden Angestellten, dann die sozialistische und kommunistische Opposition, und neuerdings ist das Privatisierungsprojekt selbst in den konservativen Regierungsparteien umstritten.
Neben der massiven Kapitalaufstockung auf Staatskosten ist vor allem die Verschleuderung von Thomson Multimedia an das koreanische Unternehmen Daewoo umstritten. Die Gegner befürchten unter anderem einen „Technologietransfer ins Ausland“, Arbeitsplatzverluste, soziale Einbußen und die Verlagerung von Produktionsstätten in Billiglohnländer. Sie hoffen, daß die Privatisierungskommission, die bislang stets den Empfehlungen des Präsidenten gefolgt ist, dieses Mal anders entscheiden wird.
Daewoo antwortet seit Mittwoch mit täglichen ganzseiten Anzeigen in den französischen Tageszeitungen auf die Proteste. Darin erklärt das Unternehmen, im Zusammengehen mit ihm könne Thomson Multimedia weltweit neue Märkte erobern, seine Produktpalette diversifizieren und seinen Umsatz vergrößern. Beeinträchtigt ist die Goodwillkampagne freilich durch widersprüchliche Informationen aus der Führungsspitze von Daewoo. So versprachen die Koreaner 5.000 zusätzliche Arbeitplätze in Frankreich, bloß um am nächsten Tag zu präzisieren, daß 2.000 davon bereits existierten. Gemeint sind die miserabel entlohnten (Durchschnitt: 5.500 Franc, 1.600 Mark) Jobs mit prekären Verträgen in den drei lothringischen Fabriken von Daewoo. Dort sind die Toilettenpausen unbezahlt, und die Arbeiter bekamen zu Weihnachten ein Buch von Daewoo-Chef Kom Woo-choong geschenkt, das „hart arbeiten“, „wenig Urlaub“ und „sparen“ predigt.
Die Aufregung über Thomson SA könnte die verbleibenden Privatisierungprojekte der französischen Regierung zu Fall bringen. Während die beiden ersten Privatisierungswellen zwischen 1986 und 1988 und von 1993 bis 1995 erhebliche Geldmengen in den Staatshaushalt gebracht hatten, schlägt die Politik der Entzerrung des staatlichen Sektors inzwischen in das Gegenteil um. Statt, wie im vergangenen Jahr angekündigt, 40 Milliarden Franc (12 Milliarden Mark) einzunehmen, wird der französische Staat in diesem Jahr voraussichtlich 5 Milliarden Franc für die Privatisierungen ausgeben müssen. Verantwortlich dafür ist, daß außer der France Telecom alle Privatisierungskandidaten hohe Schuldenlasten haben, die teilweise von der französischen Regierung übernommen werden.
Die Frage nach dem tatsächlichen Wert von Thomson SA ist ohnehin schwer zu beantworten. Mitglieder der gegenwärtigen Unternehmensleitung erklären, daß die „Rekapitalisierung“ reichen würde, um Thomson SA wieder in die Gewinnzone zu bringen. Die Gewerkschaften weisen darauf hin, daß Thomson Multimedia ab 1998 alljährlich 1 Milliarde Franc (0,3 Milliarden Mark) Lizenzgebühren von ihrer US-amerikanischen Tochtergesellschaft RCA kassieren wird.
Und selbst die Börse schätzt die Gruppe nicht gar so wertlos ein: Kaum hatte Juppé bekanntgegeben, an wen er privatisieren will, stiegen die Aktien des militärischen Aufkäufers Matra-Hachette binnen zwei Tagen um über 22 Prozent. Dorothea Hahn
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