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„Wo sie doch so schön singen“

Jeden Freitag richtet der Islamische Studentenverein an der Technischen Universität in Berlin sein gemeinsames Gebet aus. An den Ritualen stört sich keiner  ■ Von Martin Greve

Der hohe, helle Flur liegt in einem der wenigen Gebäudeteile, die den Krieg unzerstört überstanden haben. Die Wände reichen mehrere Meter hoch, und der Gang verläuft fast genau nach Süden, Richtung Mekka. Vorne, am südlichen Ende, sitzen zwei dicke bärtige Männer auf dem Boden, und beim Klang ihres vom Teppich gedämpften und gleichzeitig hallenden Murmelns scheint sich die Technische Universität in Berlin unmerklich in eine große Moschee zu verwandeln. Ein türkischer Student kommt herein, betet kurz für sich, verbeugt sich, wirft sich nieder, dann lehnt er sich mit dem Rücken an die Wand. Für das Hauptgebet ist es noch zu früh.

Jeden Freitag mittag richtet der Islamische Studentenverein an der TU sein gemeinsames Gebet aus. Schon seit vielen Jahren ist der eigentlich dafür vorgesehene Gebetsraum zu klein und der allwöchentliche Umbau des Flures zwischen Herrentoilette und Institut für Musikwissenschaft zum Gebetsraum Routine. Hinter einer verschließbaren Jalousie lagert ein großer zusammengerollter Teppich, ein paar kleinere Teppichstücke für Vorzimmer und Treppenhaus und dazu ein kräftiger Staubsauger. Imam El-Sobhi hat inzwischen vor der Glastür, die in den Gang führt, ein improvisiertes Umleitungsschild aufgestellt und daneben zwei arabisch beschriftete Spendentöpfe. „Für Schultaschen für palästinensische Waisenkinder“, erklärt er. Dann beginnt die Koranlesung. Eine hohe, gepreßte Stimme dringt durch die Glastür, das Treppenhaus hinab, durch das Hauptgebäude. Unten, in der Cafeteria, entsteht Bewegung. Arabische und türkische Studenten erheben sich, Afrikaner, Indonesier und Bosnier stehen auf und schlendern in den Seitenflügel zum Gebet.

6.121 Ausländer sind an der Technischen Universität Berlin eingeschrieben, mehr als an jeder anderen deutschen Hochschule. Etwa 2.000 sind Muslime, über die Hälfte Türken, der Rest aus allen islamischen Ländern der Erde. Und Dutzende von ausländischen Vereinen agieren hier, von der Afrikanischen Studentenunion bis zur Vereinigung Irakischer Studenten. Der traditionsreiche Studentenverein „Türkisches Wissenschafts- und Technologiezentrum“ (BTBTM) etwa gilt längst als immigrantenpolitische Kaderschmiede. Von hier aus wurde 1991 der sozialdemokratische Dachverband „Bund der EinwanderInnen aus der Türkei“ gegründet sowie kürzlich der „Bundesverband türkischer Studierendenvereine“. Kenan Kolat, Vorsitzender des BTBTM, ist besorgt. „Vier Jahre haben sich die Fundamentalisten bei den Wahlen zum Studentenparlament nicht beteiligt, in diesem Jahr haben sie mit ihrer ,Internationalen Liste‘ statt wie früher einen gleich drei Kandidaten durchbekommen. Die ,Ausländerliste‘ und wir haben nur je einen. Am Tag nach der Wahl haben sie uns eine Fotokopie mit dem ausgestreckten Zeigefinger einer behaarten Männerhand geschickt. ,Habt ihr's kapiert?‘ stand darüber, ,mit freundlicher Empfehlung Internationale Liste.“

Schon vor einiger Zeit hat Frau Butzke ihr Büro von der zentralen Universitätsverwaltung im Erdgeschoß in den zweiten Stock verlegen lassen, wo sie die Räume der Ausländerorganisationen im Auge behalten kann: Der Demokratische StudentInnen-Bund DÖB – der der „Ausländerliste“ nahesteht –, BTBTM und die Palästina AG des AStA. Tatsächlich Anspruch auf eigene Räume hat eigentlich keiner der drei, offiziell gehören sie dem AStA und den Jusos. Frau Butzke ist streng, aber auch nachsichtig: „Man muß nur aufpassen, daß es nicht überhand nimmt.“ So wie früher, als eine iranische Gruppe hier monatlich 2.000 Mark vertelefonierte. Von den meisten tatsächlich registrierten Vereinen jedoch hört und sieht sie nichts. Nur einmal im Jahr müssen sie Angaben über Mitgliederzahlen, Vorstandsangehörige und den Anteil von TU-Studenten einschicken, und nur wenige scheinen dazu ohne Mahnung imstande zu sein. Auch der Islamische Studentenverein wurde bereits einmal wegen ausgebliebener Meldungen gestrichen und erst im Jahr darauf wieder zugelassen. Bisweilen beantragen einige der Vereine Räume für Einzelveranstaltungen oder hängen irgendwo Plakate auf. Viel mehr dürfen sie sowieso nicht.

Dann ist da noch das Internet: Von der Homepage der TU zum Verzeichnis der eingetragenen Vereine, dann zum islamischen Studentenverein, und schon ist der neugierige Surfer auf einer prachtvoll kaligraphierten Koranseite mit weiteren Anschlüssen. Unter der angegebenen Telefonnummer einer muslimischen Studentengruppe an der FU allerdings meldet sich der Anrufbeantworter einer deutschen Gebäudereinigung, und der letzte Eintrag der islamischen TU-Homepage liegt über ein halbes Jahr zurück. Dafür aber geht es mit nur wenigen Klicks zu einer indonesischen Koranübersetzung, kuwaitischen Zeitungen bis zu ausführlichen Informationen über „Menschenrechtsverletzungen an Moslems in Tschetschenien oder Saudi-Arabien“.

Bereits vor zwei Jahren warnte der Berliner Verfassungsschutz vor dem starken Einfluß islamistisch-extremistischer Gruppen an der TU. Insbesondere die Muslimbrüder und die Hamas, so der Bericht, agierten mit einem schwer entwirrbaren Netzwerk von Vereinen, Nebenorganisationen und Moscheen. Tatsächlich sind derzeit vier islamische Vereine an der TU registriert.

Beim Freitagsgebet ist es mittlerweile voll geworden. Vorne redet sich der arabische Prediger in Rage, und Türken und Iraner verstehen bald außer Palästina und Muhammed kein Wort mehr. „Ich werde den Teufel tun, das zu kontrollieren“, hatte der Leiter des Akademischen Außenamtes, Matthias Borgmann, erklärt. „Es gibt zig islamische Gruppen hier. Wir lassen sie alle.“ Gegen 14 Uhr kommt der Ruf zum Hauptgebet. Bis ins Treppenhaus quetschen sich inzwischen die Gläubigen, und noch immer kommen einzelne Studenten herbeigerannt, um mitzubeten. Eine blonde Musikwissenschaftlerin quetscht sich mühsam vorbei. „Entschuldigung, darf ich mal eben auf den Teppich treten“, meint sie, weil ihr ohnehin keine andere Wahl bleibt. Ganz geheuer ist ihr die Männerversammlung nicht. Nur von der sicheren Warte ihrer Bibliothek aus sind viele Musikwissenschaftler auch ein bißchen stolz auf ihre exotische Nachbarschaft, besonders, wo sie doch so schön singen.

Nach zwei Stunden wird der Teppich wieder eingerollt und hinter der Jalousie eingeschlossen. Ein türkischer Student sammelt die Flugblätter des streng koranorientierten türkischen Ordens der Süleymanci wieder ein. Im Treppenhaus verteilt ein anderer Datteln an die abziehenden Gläubigen. „Meine Frau, die an der FU Medizin studiert, gehört zu den ersten mit Kopftuch dort“, erzählt er stolz. „Sogar das ZDF hat schon über sie berichtet.“ Die Gläubigen schlendern die Treppe hinunter zur Cafeteria. Am Freitag nachmittag sind hier kaum noch deutsche Studenten anzutreffen. Eine freundliche Kassiererin hat nun über dem Büfett ein kleines Warnschild aufgehängt: „Der Nudelsalat enthält Schweinefleisch.“

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