: Bürgerdialog unerwünscht
■ Ein Hürdenlauf für Bremens Bürger : Der Weg in die Bremische Bürgerschaft
Schnellen Schrittes stürmt ein Mann die Treppen zur Bürgerschaft hinauf, bleibt kurz vor der gläsernen Tür stehen und rückt ein umgehängtes Pappschild vor seinem Bauch zurecht. „Ein Bremer Notar hat mir 10 Millionen Mark veruntreut. Wer kann mir helfen?“ ist dort in schwarzen Lettern zu lesen. Hilfesuchend schaut er den Volksvertretern zu, die auf die Glastür zugehen. Es ist kurz vor 14 Uhr und die parlamentarische Pflicht ruft: Sitzungsbeginn der Stadtbürgerschaft. Einer hat es nicht ganz so eilig: Neugierig bleibt Dr. Frank Lutz, Bürgerschaftsabgeordneter der CDU und zudem geschäftiger Rechtsanwalt vor dem stillen Demonstranten stehen – Volksvertreter und Bürger kommen ins Gespräch.
So ein Kontakt zwischen Wähler und Gewähltem ist im Plenarsaal der „Bremischen Bürgerschaft“ allerdings tabu. „Da sind die Bürger einfach Zuhörer“, erklärt Ingeborg Russ, Sprecherin der Bürgerschafts-Verwaltung. Denn wenn die 100 gewählten Volksvertreter des Landtages einmal im Monat debattieren, nimmt das Volk selbstverständlich auf den 220 Zuschauerplätzen in Tribünenhöhe Platz. Ausdrücklich „öffentlich“ sind die Bürgerschafts sitzungen. Doch ein Blick in die Infobroschüre des Bremer Gemeindeparlamentes für 548.948 Bremer offenbart: „Kartenbestellung: Tel. 36 07 130, Gruppen: 36 07 231). „Wir sind zum Teil schon ganz ausverkauft“, verrät die freundliche Stimme am anderen Ende des Apparates. Der interessierte Bürger ist irritiert. „Reservieren Sie ihre Platzkarte doch acht Tage vor der Sitzung. Aber vielleicht ist ja so noch ein Platz frei, kommen Sie spontan vorbei – zum Haupteingang beim Pförtner“.
Um endlich das „öffentliche Forum für die politische Auseinandersetzung“ live zu erleben, stößt der brave Bürger die schwere Glastür vor der Bürgerschaft auf. Ein skeptischer Blick des Pförtners fällt auf den unbekannten Fremdling im Foyer. „Wohin des Weges“, fragt die freundliche Wachstimme. „In den Plenarsaal? Da haben Sie heute Glück, es sind noch Plätze frei.“ Mit der endlich ergatterten gelben Platzkarte wird der Bürger schließlich zum Hintereingang gelotst, um nach einer dritten Wachkontrolle schließlich zum ersehnten Tribünenplatz zu gelangen. Pförtner drei steckt kurz vor der entscheidenden Tür noch eine ausführliche Hausordnung zu: „Es muß ja schließlich alles seine Ordnung haben“, erklärt Verwaltungs-Sprecherin Russ das umständ-liche Einlaßritual. „Wenn sich viele Gruppen angemel- det haben, haben wir schließlich manchmal nur begrenzt Platz“, argumentiert sie. Nein, mit notwendiger Kontrolle wegen unangenehmer Störenfriede habe das nichts zu tun: „Das gibt es bei uns nicht.“
Laut klatscht eine flache Hand auf die weiße Balustrade. Der junge AfB-Sympathisant kann auf einem der 200 Zuschauerplätze in den oberen Ränge nicht mehr an sich halten. Unruhig rutscht der als passiver Zuhörer Verdammte auf seinem Sitz hin und her. Links neben ihm hat es sich ein altes Ehepaar bequem gemacht. AfB-Fraktionssprecher Andreas Lojewski wettert derweil unten am Mikrofon über verkrustete Beamtenstrukturen an der Universität. Das Pärchen aber hat nur Ohren und Augen für ihren Sohn, „der sitzt jetzt für die AfB in der Bürgerschaft,“ sagt die stolze Polit-Mutter.
Mittlerweile kann sich das junge nichtaktive AfB-Mitglied neben ihnen nicht mehr beherrschen. AfB-Mann Lojewski spreche ihm mit diesem „interessanten Thema“ einfach aus der Seele. Als aufmunternde Zustimmung stößt der junge Mann schließlich einen halblauten „Bravo“-Ruf aus, der Lojewski unten am Mikro jedoch nicht erreicht. „Beifalls- und Mißfallensäußerung wie Klatschen oder Rufen“ sind laut Hausordnung nicht erlaubt. Kein „unmittelbarer Druck“ solle auf die Volksvertreter einwirken, erklärt die Bremer Verwaltungsfrau Russ. „Entscheidungen sollten in ruhiger Atmosphäre erreicht werden. Das ist ja schließlich kein Bürgerdialog.“
Nur für ein paar Sekunden hat den aber tatsächlich ein Bürger erreicht – allerdings im fernen Abgeordnetenhaus der Spreestadt Berlin. „Einfach reinspazieren is nich“, sagt auch Rainer-Lutz Düsing aus der Verwaltung zum Einlaßritual in seinem Haus. Dort hatte sich aber vor einem Jahr ein ehrwürdig gekleideter Bischof ohne lästiges Anmeldeverfahren vorbei an allen Ordnungshütern Zutritt zum Plenarsaal verschafft. „Die waren alle total ehrfürchtig“, erinnert sich Düsing. Wenige Minuten später dann aber Flugblätter durch den Saal – während einer hitzigen Debatte zur Sparpolitik im Hochschulhaushalt. „Wir haben Sie schon erkannt“, sprach die damalige Parlamentspräsidentin Hanna-Renate Laurien den stadtbekannten Hochschulprofessor und falschen Bischof an, der sich dann kurzzeitig politisch zu Wort meldete.
In Bremen macht der gemeine Bürger heutzutage eher mit billigen Plastikschildern draußen vor dem Sitzungssaal der Volksvertreter auf sich aufmerksam. Aber eine halbe Stunde später ist der stille Demonstrant bereits verschwunden. kat
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