■ taz-Autor Philipp Maußhardt darf doch „Mafiosi“ sagen
: Vatter spricht Bruder frei

Reutlingen (taz) – „,Mafiosi‘, wird der Richter sagen, ist doch kein Schimpfwort“, schrieb der Journalist Philipp Maußhardt vor einem Jahr an dieser Stelle. „In Köln“, schöpfte er aus seinem Erfahrungsschatz, den er einst als Lokalchef des dortigen Stadtanzeigers anhäufen durfte. In Köln also „heißt das ,Klüngel‘, in Tübingen ,Vetterleswirtschaft‘“. Jetzt ist es doch anders gekommen. Der Reutlinger Amtsrichter Jürgen Vatter ließ sich gestern über die Frage, ob „Mafioso“ nun als Schimpfwort zu werten ist, gar nicht erst aus. Freigesprochen hat er Maußhardt trotzdem, und das, obwohl er selbst ihm damals den Strafbefehl erteilt hatte: 40 Tagessätze zu je 120 Mark schienen dem Richter geeignet, die „üble Nachrede“ zu ahnden, derer sich der Journalist im Tübinger Wochenblatt, einer eher braven Anzeigenpostille, angeblich schuldig gemacht hatte.

Am Anfang stand die Reutlinger Oberbürgermeisterwahl, gegen die Maußhardts Bruder, ein Verwaltungsrichter, Einspruch eingelegt hatte – schriftlich und, so hat inzwischen auch das Sigmaringer Verwaltungsgericht entschieden, fristgemäß. Was dann geschah, ist bis heute nicht geklärt, doch gab die Behörde unter der Leitung von Regierungspräsident Max Gögler nach einer Woche zu verstehen, der Einspruch sei laut Eingangsstempel einen Tag zu spät eingegangen. Also holte Maußhardt (der Journalist) aus und verfaßte eine Wochenblatt-Kolumne mit dem schönen Titel „Mafiose Strukturen“, darin es hieß: „Und wie hat Max Gögler (CDU) entscheiden lassen? Der Brief sei leider (...) ungültig. So kann man mit falschen Eingangsstempeln Politik machen. In Italien hat man dafür sogar einen Ausdruck ...“ Den sparte sich Maußhardt zwar, aber für Oberstaatsanwalt Hans- Joachim Weller war es doch eine klare Sache. Den Regierungspräsidenten „mit den Angehörigen der Mafia auf eine Stufe zu stellen“, gab er in der gestrigen Hauptverhandlung zu verstehen, sei eindeutig üble Nachrede, und zwar gemeinschaftliche, da auch noch eine Redakteurin des Anzeigenblatts beteiligt gewesen sei. Die jedoch konnte sich in der Verhandlung an gar nichts erinnern („Das läßt sich nicht bei jedem Artikel klären, wie und wo der reingekommen ist“) und wurde freigesprochen.

Doch auch im Fall Maußhardt siegte letztlich die Pressefreiheit. Im Zusammenhang mit der von Maußhardts Anwalt Christoph Geprägs monierten Überbesetzung bei den Redaktionsdurchsuchungen (zwei Staatsanwälte und zwei normalerweise für Kapitalverbrechen zuständige Kripoleute waren anwesend, als es darum ging herauszufinden, wer denn nun den Mafioso-Artikel geschrieben hatte) sprach Richter Vatter von einem „gewissen Aufwand“. Viel wichtiger aber: der Mangel an Vorsatz. „Mafioso“ sei zwar „eine ganz überzogene, heftige Kritik“, die „kein gutes Licht auf den Behördenchef“ werfe. Die Absicht, den Mann herabzuwürdigen, ihm gar die Ehre abzuschneiden, habe dem Schreiber der Zeilen jedoch ferngelegen. Maußhardt, konstatierte der Richter weise, sei „ein sehr kritischer Journalist, er nimmt Themen auf und beleuchtet sie scharf“. Möglicherweise hatte er auch das Argument des Verteidigers im Hinterkopf, der daran erinnert hatte, daß selbst der baden-württembergische Finanzminister Gerhard Mayer-Vorfelder den strittigen Begriff ungestraft benutzen darf. Der nämlich hatte vor einiger Zeit den Graf-Untersuchungsausschuß öffentlich als „mafiotische Veranstaltung“ bezeichnet. Säßen – diese Vermutung muß erlaubt sein – Regierungspräsidenten in dem Gremium, hätte MV jetzt vielleicht auch eine Anzeige am Hals. Hete Henning