: Abgründe im Alltag der Ausländerbehörde
■ Privater Sicherheitsdienst trat, prügelte und drohte MigrantInnen: Amtsrichter verurteilt fünf Wachleute wegen Körperverletzung zu Haft- und Geldstrafen
Fünf Wachleute eines privaten Sicherheitsdienstes, die in der Ausländerbehörde mehrfach MigrantInnen verprügelt hatten, haben gestern vor Gericht die Quittung erhalten: Amtsrichter Rafael Krispien verurteilte den 28jährigen Andreas P. unter anderem wegen Körperverletzung zu anderthalb Jahren Haft. Wachmann Andreas K., 29, erhielt eine Bewährungsstrafe von einem Jahr sowie 2500 Mark Geldstrafe, Sven S., 25, desgleichen mit 750 Mark Geldstrafe. Beide müssen zusätzlich 1000 Mark an die Opfer zahlen. Das Verfahren gegen zwei weitere Sicherheitsdienstler wurde gegen eine Geldbuße von jeweils 2000 Mark eingestellt. Die Hälfte davon sollen die Opfer bekommen. „Einigen Opfern ist übelst mitgespielt worden“, so Rafael Krispien in der Urteilsbegründung.
Die Männer hatten zwischen April und Juli 1995 in der Ausländerbehörde mehrere MigrantInnen geschlagen, getreten und brutal in ein abseits gelegenes Zimmer gesperrt. „Ich bin voller Wut und warte seit anderthalb Jahren auf diesen Prozeß und die Gerechtigkeit“, sagte ein Ägypter vor Gericht. Der 36 Jahre alte Zeuge war von drei der Angeklagten verprügelt, sein Kopf gegen die Wand des Fahrstuhls geschlagen worden. Dabei hatte er nichts weiter gewollt, als einem etwas weiter vorn in der Warteschlange stehenden Landsmann seine arabische Zeitung zu leihen ...
Am 6. April 1995 hatte ein 32jähriger Türke, der für seinen Freund dolmetschen wollte, die Sicherheitsleute gegen sich. Als er den seit morgens in der Behörde wartenden Freund mit einer Stärkung aus dem Imbiß gegenüber versorgen wollte, wurde er die Stufen vor dem Gebäude hinuntergestoßen. „Ich konnte fast nicht mehr aufstehen“, erinnerte sich der Türke vor Gericht. „Wo leben wir denn?“ habe er die Wachleute angeschrien. Er erlitt diverse Prellungen und eine aufgeplatzte Lippe. Demgegenüber betonte einer der Angeklagten, das Opfer habe „versucht, gewaltsam in die Behörde einzudringen“ und ihm „einen Bürostuhl über den Kopf zu dreschen“.
Eine Krankenschwesternhelferin aus Kamerun, die am 3. Juli 1995 mit ihrem Baby und ihrem 17jährigen Sohn zur Behörde wollte, hat die traumatischen Vorfälle von damals bis heute nicht verkraftet. Ihr Sohn sollte für sie eine Wartemarke ziehen, da sie mit dem Kinderwagen in dem Gedränge nicht durchkam. Plötzlich habe einer der Angeklagten den Jungen gegriffen und geschlagen, erinnerte sich die 34jährige als Zeugin. „Warum tut ihr das? Mein Sohn hat nichts getan“, hat sie gefragt. „Ich habe am ganzen Körper gezittert, einer der Männer hat mich am Hals gepackt und später gegen eine Wand gestoßen.“ Die Wachleute wollen die Frau hingegen „nur festgehalten“ haben. Den Jungen, der wegen eines Tritts in den Unterleib über Schmerzen klagte, holte die Polizei später aus dem Dienstraum der Wachleute.
„Die Zeugen haben uns Abgründe aufgezeigt, die in der Ausländerbehörde leider an der Tagesordnung waren“, kommentierte Staatsanwalt Jochen Hiersemenzel in seinem Plädoyer. „Wir haben hier wohl nur die Spitze des Eisbergs gesehen.“
Lisa Schönemann
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