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Soziales Gesundheitssystem totkrank

■ Neuordnungsgesetz zur Krankenversicherung vom Bundestag abgesegnet. Versicherte müssen nun tiefer in die Tasche greifen. Bundesversicherungsanstalt für Angestellte kündigt 12.000 Betten in Reha-Kliniken

Berlin/Bonn (taz/dpa) – Jetzt ist es beschlossene Sache: Gesetzliche Krankenkassen, die ihre Beiträge erhöhen, müssen auch den Eigenanteil des Kranken für Medikamente, Krankenhaus, Kur oder Zahnersatz erhöhen. Das gestern vom Bundestag beschlossene Neuordnungsgesetz zur Krankenversicherung tritt wahrscheinlich am 1. Januar kommenden Jahres in Kraft. Die SPD-Ländermehrheit kann den Beschluß zwar im Bundesrat verzögern, der Bundestag würde ihren Einspruch aber mit Kanzlermehrheit ablehnen.

So gilt künftig die Faustregel: Erhöht die Kasse ihre Beiträge um 0,1 Prozent, zahlt der Patient eine Mark mehr pro Eigenleistung (0,2 Prozent = zwei Mark). Der Tag im Krankenhaus würde bei einer Steigerung von 0,4 Prozentpunkten dann im Westen 16 statt bisher 12 Mark kosten (Osten 13 statt 9 Mark). Für stationäre Kuren müßte der Patient 29 statt bisher 25 Mark aus eigener Tasche berappen. Beim Zahnersatz würde der Eigenanteil von 40 auf 44 Prozent steigen. Dafür hat der Patient bei einer Beitragserhöhung das Recht, ohne Kündigungsfrist die Krankenkasse zu wechseln.

Ausnahmen sieht das neue Gesetz nur noch im Härtefall vor: darunter fallen Sozial- und Arbeitslosenhilfeempfänger, Bafög-Bezieher sowie Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Außerdem wurde die bisherige Überforderungsgrenze, nach der Patienten höchstens vier Prozent ihres Einkommens für Zuzahlungen aufwenden mußten, auf zwei Prozent gesenkt. Chronisch Kranke, die wegen derselben Krankheit länger als ein Jahr in Dauerbehandlung sind, müssen nach dem ersten Jahr höchstens ein Prozent statt zuvor zwei Prozent ihrer Einkünfte für die Zuzahlungen aufwenden.

Die Erhöhung des Eigenanteils können die Kassen bei einer Beitragserhöhung in Zukunft nur dann umgehen, wenn sie die Steigerung mit höheren Überweisungen in den Risikostrukturausgleich (Ausgleichszahlungen der wohlhabenden an die finanzschwachen Kassen) begründen. Bedingung ist jedoch die Zustimmung des Bundesversicherungsamtes – das lehnte gestern eine Erhöhung strikt ab. Die von der Deutschen Angestellten-Krankenkasse geforderten 0,5 Prozent höheren Beiträge in den alten Bundesländern seien „nicht erforderlich“, teilte ein Behördensprecher mit.

Als Reaktion auf die jetzt abgesegneten Spargesetze kündigte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte rund 12.000 Betten in Reha- und Kurkliniken. Karsten Vilmar, Präsident der Bundesärztekammer: „Das ist ein Rückschlag für den Wirtschaftsstandort Deutschland.“ clh

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