DGB: Liedgut mit kämpferischen Tönen

DGB-Kongreß verabschiedete ein neues Grundsatzprogramm. Die überfällige Debatte um die Organisationsreform wurde allerdings vertagt. Erneute Fusionsabsichten  ■  Aus Dresden Walter Jakobs

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hat ein neues Grundsatzprogramm. Nach viertägiger, spannender Debatte verabschiedeten die Delegierten eine in wesentlichen Punkten revidierte neue programmatische Orientierung. Darin bekennen sich die 15 Einzelgewerkschaften erstmals zur „sozial regulierten Marktwirtschaft“, die „gegenüber dem ungebändigten Kapitalismus einen großen historischer Fortschritt“ darstelle.

Als „interessensbezogene Kampforganisation und gesellschaftliche Reformbewegung“ wollen die Gewerkschaften dafür sorgen, daß aus dem regulierten Kapitalismus kein neoliberaler „Killerkapitalismus“ werde, wie es IG-Metall-Chef Klaus Zwickel formulierte. Insgesamt wurde der sehr auf Konsens ausgerichtete erste Programmentwurf deutlich verschärft und die Rolle der Gewerkschaften als „Gegenmacht“ betont. Gleichzeitg will der DGB auf der Grundlage des neuen Programms aber auch verstärkt „neue Gestaltungskraft“ entwickeln, wie der Vorsitzende Dieter Schulte in seiner Abschlußrede sagte.

Anders als im Programm von 1981 findet sich in der neuen DGB- Verfassung nicht mehr die Forderung nach Verstaatlichung der Schlüsselindustrien. Deutliche Akzentverschiebungen weist das Programm auch bei der zukünftigen Gestaltung der Beschäftigungsverhältnisse auf. Die Fixierung auf das bisher die Gewerkschaftspolitik dominierende „Normalarbeitsverhältnis“ ist passé. Gleichzeitig schimmert durch viele Passagen eine Neubewertung der Geschlechterrolle hindurch.

Heftig diskutiert wurde in Dresden über die beschlossene Reform der Flächentarifverträge. Künftig will der DGB „geregelte Wahlmöglichkeiten“ für betriebs- und branchenspezifische Lösungen zulassen. Weiter Bestand hat das Bekenntnis, „so rasch wie möglich auf den Einsatz der Kernenergie zu verzichten“. Der Antrag der Bergbau-Gewerkschaft, künftigen Generationen „die Option auf die Nutzung der Kernenergie“ zu erhalten, scheiterte klar.

Nicht weitergekommen sind die Gewerkschaften in Dresden mit der eigenen Organisationsreform. Das heiße Eisen soll nun beim nächsten Kongreß in zwei Jahren angepackt werden. Auch eine Entscheidung zur künftigen Organisation der Rechtsschutzgewährung blieb aus. Manche Einzelgewerkschaften wollen die Zuständigkeit des DGB kappen und den Rechtsschutz in eigener Regie durchführen. Ungebrochen hält das Fusionsfieber an. Zur Verärgerung vieler kündigten IG-Metall und die Gewerkschaft Holz und Kunststoff eine Kooperation an, die 1999 mit der Fusion enden soll. Darüber war vor allem Klaus Wiesehügel, Chef der IG Bau, Agrar und Umwelt sauer: „Während wir uns den Kopf über Programme zerbrechen, macht die IG-Metall praktische Organisationspolitik.“