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Handypiraten Von Mathias Bröckers

William S. Burroughs hat die Blindheit der technologischen Moderne einmal mit Autofahrern verglichen, die alles nur durch den Rückspiegel wahrnehmen. Am Horizont auftauchende Veränderungen, Neuigkeiten, Entwicklungen sind für die Rückspiegelseher erst einmal nicht vorhanden; sie nehmen sie erst zur Kenntnis, wenn sie im Rückspiegel aufgetaucht sind.

Der Dromologe (Geschwindigkeitsforscher) Paul Virilio meint etwas Ähnliches, wenn er darauf hinweist, daß wir mit der Eisenbahn auch das Eisenbahnunglück, mit dem Auto auch die Massenkarambolage, mit dem Flugzeug auch den Absturz, mit der Software auch den Virus erfinden – und das jeweils letztere ebenfalls nur im Rückspiegel wahrnehmen.

Jetzt hat es die neue Freiheit der Kommunikation, den Mobilfunk, erwischt: mit einem Gerät, das die Identifizierungsnummern von Handys im Umkreis von einem Kilometer kopieren kann. Es simuliert einfach die Empfangsfrequenz eines Funkknotenpunkts. Werden Mobiltelefone in seiner Nähe benutzt, empfängt es außer der gewählten Rufnummer auch zwei Identifikationsnummern, anhand derer die Autorisierung des Anrufers gecheckt wird.

Diese abgefangene Nummer wird dann in gestohlene (und gesperrte) Geräte eingegeben, die fortan auf Kosten des Bestohlenen funktionieren, der von der ganzen Sache erst bei der nächsten Monatsrechnung erfährt. Aber dann ist es meistens zu spät.

Die britische Mobilfunkindustrie gibt den jährlichen Schaden durch diese neue Art der Piraterie mit 200 Millionen Pfund an, Tendenz steigend. In Londoner Pubs kostet ein geklontes Handy fünf Pfund die Viertelstunde, recht preiswert für ein spontanes Übersee-Ferngespräch.

Bevorzugtes Abhörgebiet der Handypiraten ist die Region von Flughäfen, wo ein letztes Bye-bye vor dem Abheben teuer werden kann – im Ausland erfährt der Bestohlene unter Umständen wochenlang nicht, daß ein Klon seines Handys unterwegs ist.

Für Vieltelefonierer gibt es nicht nur von den offiziellen Anbietern Rabatte, auch der Scharzmarkt lockt mit lukrativen Angeboten: Wer knapp 300 Mark für einen sogenannten Dongle – einen programmierbaren Chip – ausgibt, kann geklonte Identifikationsnummern künftig einfach über die Tastatur eingeben. Die abgefangenen Nummern werden für 50 Mark gehandelt und gewähren dem Dongle-Besitzer dauerhaft Gratisverbindungen, bis zur Sperre durch den Besitzer.

Technisch läßt sich gegen die Handypiraterie nichts unternehmen. Deshalb haben die USA und Hongkong ihre Gesetze in dieser Richtung bereits verschärft, und in China, so meldet der New Scientist, steht auf das Klonen von Mobiltelefonen bereits die Todesstrafe.

Daß Köpfe rollen müßten für die Freiheit der drahtlosen Kommunikation, daß mit dem neuartigen Funktelefon gleich auch eine neuartige Funktelefonkriminalität in die Welt gesetzt wird, hat natürlich wieder einmal niemand mitbedacht.

Und wie immer, wenn ein neues Beschleunigungsspielzeug in die Welt gesetzt wird, ist nach seiner massenhaften Verbreitung und der kindischen Begeisterung das Geschrei groß: Die Katastrophe ist im Rückspiegel aufgetaucht.

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