■ Heute vor zwanzig Jahren wurden in der DDR die ersten wegen Solidarität mit dem ausgebürgerten Wolf Biermann verhaftet. Einfache Leute, keine Dichter und Denker: Rebellion ohne Volk
Eine Sensation: Im November 1976 protestiert eine Handvoll namhafter DDR-Künstler und -Intellektueller gegen eine Maßnahme ihrer Regierung. Protestieren ist zuviel gesagt, sie bitten, die Ausbürgerung Wolf Biermanns noch einmal zu überdenken. Immerhin, das hatte es noch nicht gegeben: öffentliche Kritik an einer staatlichen Maßnahme innerhalb der DDR.
Die Bittschrift kann nur im Westen erscheinen und ist über den Äther der Ost-Öffentlichkeit zugänglich. Ein offener Brief an die Partei- und Staatsführung der DDR, kein Brief an die deutsche Öffentlichkeit. Als diese Öffentlichkeit beginnt, darauf zu reagieren, einigen sich die Erstunterzeichner mit dem zuständigen Funktionär Lamberz, den Westmedien kein weiteres Futter zu liefern und den in der DDR anrollenden Protest abzuwürgen, die Künstler beteiligen sich selbst an der Abwürgerei.
Nur für einen kurzen Moment läßt man was gucken vom Zwist zwischen Geist und Macht und deckt das gleich wieder beschämt zu. Wie das Zentralorgan der Partei Volkes Stimme für seine jeweiligen Zwecke mißbraucht, gebrauchen die Petitoren die deutsche Öffentlichkeit als eine Art Resonanzraum, um eines gewissen Nachdrucks willen, wollen sie aber nicht wachrufen, aus solch einem Brief etwa Flammen zu schlagen. Der in der DDR aufflackernde Protest war bloß eine unliebsame Nebenwirkung. Im Gespräch mit dem Politbüromitglied Lamberz (es ist in Manfred Krugs Buch „Abgehauen“ nachzulesen), kommt man in diesem Punkt sehr schnell überein. „Lamberz: ,Also, ich glaube, daß – zumindest in diesem Kreise – sich alle darüber einig sind, die jetzige Unterschriftensammlung zu stoppen. Darüber gibt es Übereinstimmung?‘ Mehrere, viele, wohl alle: ,Ja.‘“
In seinem Buch „Der Winter unseres Mißvergnügens“ erinnert sich Stefan Heym: „Wildfremde Menschen rufen an, sie haben von dem Brief der Schriftsteller gehört, wie ist der genaue Text, bitte, wie können sie sich anschließen, wo unterschreiben, an wen ihre Unterschrift leiten. Ich bin kein Auskunftsbüro, kein Organisationssekretär, es gibt überhaupt keine Organisation, und weiß ich, ob der letzte Anrufer nicht ein Lockvogel war ...?“ Und Jurek Becker auf der Sitzung mit Lamberz: „Ich krieg' am Tag fünfzig Anrufe von Leuten, die mir sagen, wie gut sie das finden (die Resolution), die mir aber nicht sagen, wie sie heißen. Das ist Scheiße, das bedrückt mich, ich sag denen, sie sollen mich am Arsch lecken.“
Nein, mit den Geistern, die sie riefen, wollten die mutigen Autoren ganz und gar nichs zu tun haben. Sie wollten sie gar nicht rufen, all diese „wildfremden Menschen“, mit denen sie das Land bewohnen. Für einen kurzen historischen Moment haben sie tatsächlich die Macht, nicht nur für sich als Künstler, sondern für alle etwas zu bewegen. Und schrecken möglichst lässig davor zurück. Jens Reich schreibt aus heutiger Sicht: „Die intellektuellen Akteure wollten uns ja gar nicht. Wir hätten, wenn wir aufgewacht wären, ganz andere Sachen verlangt, als daß die Behörden über die Ausbürgerung von Wolf Biermann ,noch einmal nachdenken‘ sollten.“
Ich erinnere mich an die Nacht vor dem Fernseher und wie ich Biermanns Lieder aufsog, die ja in unsere Welt hinaus mußten, weil sie dahin gehörten. Ich pfiff sie auf dem Weg zur Uni und suchte in den Gesichtern nach Einverständnis. „Was haben wir denn an denen verlor'n?“ schrieb ich da an die Tafel und kam mir heldisch vor. Dann kam die Ausweisung und der Protest unserer Künstler – endlich hatte man einen Bezugspunkt, endlich, schien es, durfte das Nötige gesagt werden.
Und ich erinnere mich an die stillen Wochen, die dem Protest folgten, während derer alles mögliche geschehen konnte, mußte, aber nur stumme Resignation in der Luft lag. Ein paar Studenten, hieß es, seien geschaßt worden. Ein paar Künstler gingen außer Landes und schlugen vernehmlich die Tür. Das war's.
Dreizehn junge Leute aus Jena sind damals für ihren Protest gegen die Ausbürgerung in den Knast gegangen und abgeschoben worden. Wie viele Unbekannte das Protestzeichen von oben ebenso ernst nahmen und dafür von den Hochschulen und aus den Abiturstufen flogen oder mit dem DDR-Strafvollzug unliebsame Bekanntschaft machen mußten, wer weiß das schon – und wen interessiert es?
Bernd Markowski, 1976 Mitglied eines oppositionellen Jenenser Kreises, sitzt am letzten Samstag in einer Talk-Runde des ORB zur Biermann-Ausbürgerung. Die anderen Teilnehmer der Runde entstammen der Königsebene, auf der die damalige Auseinandersetzung geführt wurde und auf der auch nach 20 Jahren darüber nachgedacht wird. Der Schriftsteller Klaus Schlesinger beteuert, daß man, um die Jenenser frei zu bekommen, für sie sogar bei Honecker vorstellig geworden sei. Als Markowski ihn damals aufsuchte, um sich dem Protest anzuschließen, habe er ihn natürlich abweisen müssen: Er und seine Leute waren ja nicht durch Prominenz geschützt. Aber sie hatten in der DDR vielleicht auch nicht soviel zu verlieren wie die Promis, den Knast nahmen sie auf sich. Mit der Ausweisung hatten sie nicht gerechnet. Daß man sie dazu verdammte, in irgendwelchen Kreuzberger Hinterzimmern ihr Aufbegehren in langen Jahren sauer und bitter werden zu lassen, war eine harte Strafe.
Einige der Protest-Künstler bekamen damals einen Reisepaß, sie durften kommen und gehen. Wie es war, wenn man über Jahre nicht mehr dahin einreisen durfte, wo man alles zurückgelassen hatte, das sollten sie sich mal von den Jenensern erzählen lassen.
Man traute diesen „wildfremden Leuten“ keinen Fuß breit, weder im Politbüro noch in den Gemächern der Petitoren: diesem schuldig gewordenen deutschen Volk. Man war angetreten, es im Antifaschismus zu erziehen, gar „neue Menschen“ daraus zu formen. Objekt sollte es sein und bleiben, vor ihm als Subjekt fürchtete man sich. Ist es diesem Volk zu verdenken, daß es seine wackeren Intellektuellen im Regen stehenließ, nachdem es die DDR-Herrschaft auf eigene Faust gekippt hatte? Daß es von einem sozialistischen Neubeginn, als schließlich alles den Bach runtergangen oder vom Herr Schalck verhökert war, nichts mehr wissen wollte? Martin Ahrends
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