: Kiffer sind „weniger maskulin“
■ Das Bundesinstitut für Arzneimittel, das das Modellprojekt genehmigen muß, hat seine Position zu Cannabis neu bestimmt
Wie gefährlich sind Haschisch und Marihuana? Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat versucht, diese Frage in einem Gutachten für das Bundesverfassungsgericht zu beantworten. In der 31seitigen Expertise wird die Position jener Behörde deutlich, die das Kieler Modellprojekt genehmigen muß und von deren Votum der kleine Schritt in eine neue Drogenpolitik jetzt abhängt.
In dem Gutachten vertritt die Berliner Arzneiaufsicht eine vorsichtig ablehnende Haltung gegenüber Cannabis, räumt aber auch mit einigen Vorurteilen auf. Haschisch und Marihuana könnten zwar in psychische Abhängigkeit führen, verursachten Bronchitis, Antriebslosigkeit, Gedächtnisstörungen und Fahruntüchtigkeit, schreibt das BfArM, aber: „Insgesamt ist das Risiko, schwerwiegende und bleibende Schädigungen der Gesundheit durch zeitweiligen Haschischgenuß zu erleiden, als gering dokumentiert.“ Bisher sei noch kein Mensch an Haschisch gestorben, aber jährlich 40.000 an den Folgen des Alkoholismus.
Die aus früheren offiziellen Gutachten bekannten plumpen Verteufelungen der Droge finden nicht mehr statt. Keine Rede mehr von „dissoziierten Persönlichkeiten“ und „verelendeten Dauerkiffern“. Das Institut traut sich sogar, die vergnüglichen Seiten des Haschisch-Konsums einigermaßen vernünftig darzustellen. Die Denkabläufe würden als „assoziationsreich, phantasievoll und beglückend erlebt. Akustische und optische Sinneswahrnehmungen werden intensiver.“ Gefühle der Entspannung, eine angenehme Apathie und milde Euphorie werden beschrieben. Zugleich wird allerdings suggeriert, der Joint sei dazu da, um „Schwierigkeiten mit den Eltern, Ärger in der Schule und den Streit mit der Freundin“ zu vergessen: die Flucht aus der Wirklichkeit. Zudem seien Haschisch- Raucher schüchterner, mit einer „geringer ausgeprägten Dominanz und Maskulinität“.
In dem Gutachten wird Cannabis der Konsum von Alkohol gegenübergestellt. Die Wissenschaftler lassen keinen Zweifel, welche Droge die gefährlichere ist. In Deutschland lebten zwei bis drei Millionen Alkoholiker. Sie seien mit schwersten gesundheitlichen Schäden konfrontiert, ihre Lebenserwartung reduziere sich um 20 Jahre. Zusammenfassend verlangen die Autoren einen drastischen Rückgang des Alkoholkonsums, während sie sich bei Cannabis auf die milde Formel beschränken, der Konsum solle „zumindest nicht ansteigen“.
Auch zur alten Beschwörungsformel, „Haschisch als Einstiegsdroge“, nimmt das Institut Stellung. Die Zahl der Haschisch-Konsumenten, die auch härtere Drogen nehmen, wird auf lediglich 2,5 Prozent beziffert. Das Problem, heißt es weiter, sei der Kontakt mit dem illegalen Drogenmarkt durch den Haschischkonsum. Insofern „ist der Begriff der Einstiegsdroge nicht so abwegig“. Nimmt man dieses Argument ernst, müßte die Behörde dem Kieler Modellprojekt von Herzen zustimmen, denn sein Ziel ist ja gerade die Herauslösung des Haschischkonsums aus dem Umfeld des Bahnhofsklos.
„Amotivational Syndrome“ (Null-Bock-Syndrom) heißt eine in dem Gutachten beschriebene Folge häufigen Cannabis-Konsums. Antrieb und Fähigkeit der Lebensplanung seien reduziert, eine allgemeine Schwunglosigkeit lege den Raucher lahm. Häufig werde die Hygiene vernachlässigt. Untersuchungen bei jungen Arbeitern in England zeigten allerdings, so heißt es weiter, daß deren Motivation auch ohne Haschisch gegen Null gehe.
Während der kontrollierte Genußtrinker von den Berliner Wissenschaftlern als geglückte Aneignung einer Droge akzeptiert wird, fehlt in dem Papier das Pendant des gelegentlichen Genußrauchers. So weit mag man sich denn doch nicht vorwagen. Aber immerhin: „Ein erhöhtes Risiko, durch Cannabisgenuß vorzeitig zu sterben, besteht offenbar nicht.“ Da freut sich der Kiffer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen