„12 Jahre, das ist für mich wichtig“

■ Ehemalige Lufthansa-Entführerin Souhaila Andrawes in Hamburg trotz Kronzeugenbonus zu zwölf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt

Hamburg (taz) – Als sie am Ende des letzten Verhandlungstages dem Senat „Lang lebe Palästina“ hinterherruft, wirkt es, als wolle sie sich so selbst Mut zusprechen. Zu zwölf Jahren Freiheitsentzug hat sie das Hamburger Oberlandesgericht (OLG) soeben verurteilt: Souhaila Andrawes, 1977 im Alter von 24 Jahren Entführerin der Lufthansa-Maschine „Landshut“, scheint sich noch einmal aufzubäumen, ehe sie ins Gefängnis zurückgeführt wird.

Ihre Anwälte hoffen darauf, daß sie es in wenigen Jahren wieder verlassen kann. Wird die Hälfte der Strafe zur Bewährung ausgesetzt sowie rund vier in Somalia, Norwegen und Hamburg verbüßte Jahre angerechnet, könnte die Palästinenserin bald wieder in Freiheit sein. Aus dem norwegischen Justizministerium heißt es, Andrawes könne ihre Strafe vermutlich in der Nähe ihrer Familie in Oslo absitzen.

Gestern morgen stand sie noch kerzengerade hinter der Anklagebank. Die Hände hinter dem Rücken verschränkt, den Blick zur Decke gerichtet. Als das Urteil gesprochen ist, sackt sie wieder in ihren Rollstuhl. Vorbei ist es mit der zuvor gezeigten Fröhlichkeit: Souhaila Andrawes fällt zurück in die gleiche Resignation, die sie im seit April andauernden Verfahren vor dem OLG früh entwickelt und über die Monate hinweg nicht wieder aufgegeben hat. Sie reagiert nur, wenn sie mit dem Grund dafür konfrontiert wird, weshalb sie trotz ihrer Verurteilung wegen gemeinschaftlichen Mordes am Piloten Jürgen Schumann nicht zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt wird.

Gegen ihren Willen werde die Kronzeugenregelung angewendet, belehrt der Vorsitzende Richter Albrecht Mentz mehr das Publikum als die Angeklagte. Die hat die Kopfhörer längst abgelegt. Doch dann fällt der Name Monika Haas. Das ehemalige RAF-Mitglied habe im Oktober 1977 die Waffen nach Mallorca geschmuggelt. Dank der Aussagen Andrawes' habe sie überführt werden können. Das will die Angeklagte nicht hören: Zunächst verdreht Andrawes die Augen angewidert nach oben, äfft Mentz nach, indem sie betont „Terroristen, Terroristen“ vor sich hinspricht. Dann fährt sie dazwischen: „Monika Haas hat die Waffen nicht nach Mallorca geschafft, und ich will darüber sprechen.“

Sie ruft es auf Norwegisch. Das Publikum verlangt eine Übersetzung. Mentz verweigert dies, da „alle wissen, was sie gesagt hat“. Bundesanwalt Volker Homann redet sich später damit heraus, er habe es nicht verstanden. Einen Brief, den Andrawes während der Verhandlung geschrieben hat und ihm danach überreichen will, nimmt er gar nicht erst entgegen. Denn die Verhandlung war bereits geschlossen, die belastenden Aussagen, die Andrawes vor zwei Jahren in Oslo über Monika Haas gemacht hatte, in die Akten der Bundesanwaltschaft eingegangen. Während des Prozesses hatte sie ihre Beschuldigungen zwar nicht wiederholt, doch bestätigt, sie seinerzeit zu Protokoll gegeben zu haben. „Dadurch“, so Mentz in seiner Urteilsbegründung, „konnte Monika Haas verhaftet und angeklagt werden.“

Dem Bild der Zerbrochenen fügte die Angeklagte selbst gestern noch weitere Scherben hinzu. Zunächst betont aufgekratzt, fast glücklich lachend, hatte sie den Prozeßsaal betreten. Nervös zupft sie an ihrem Kostüm herum, zittert am ganzen Körper und gibt damit ihre Aufregung preis. Als sie unvermittelt um eine Pause bittet und dafür den Saal verlassen will, fällt sie hin. Mit verbundenem rechten Knie nimmt sie später wieder im Rollstuhl hinter der Anklagebank Platz. Immer wieder ringt sie sich ein Lächeln ab, hoffend, daß es ihre Bekannten im Zuschauerraum erreicht. Doch diesen Optimismus hält sie nicht durch, Tränen laufen ihr über das Gesicht. Mentz will sie ermuntern, den Kopfhörer aufzusetzen, doch Andrawes stammelt: „Das interessiert mich nicht. Zwölf Jahre, das ist für mich wichtig.“ Elke Spanner