: Auch der Weihnachtsmann ist ein Revolutionär
■ Die Partei tut sich schwer mit dem Weihnachtsfest: Christbaumkugeln aus dem Dollarshop sind okay, aber die Krippendarstellung bleibt eine falsche „Orientierung“
Als Weihnachten zurückkehrte, trat das ZK zur Krisensitzung zusammen. Und wie Weihnachten zurückgekehrt war! Als vor einem Jahr in Kuba die staatlichen Dollarshops erstmals Plastiktannenbäume und Lichterketten in die Regale nahmen, brach in Havanna ein kollektives Fieber aus: Weihnachtsschmuck! Ein Run auf die Devisenläden setzte ein. In Schulen und Krankenhäusern wurde gesammelt – in Dollars –, um auch hier mit Christbaumkugeln und Styroporschneeflocken feierliche Stimmung in die Räume zu bringen. Und in zahlreichen Haushalten wurde ein verstaubter Jesus in der Krippe aus Kisten hervorgeholt, die man vor Jahren in der hintersten Kammer verstaut hatte.
Denn Weihnachten, das schien ein Relikt zu sein, das beim revolutionären Aufbau der neuen Gesellschaft definitiv entbehrlich war. Zwischen antiimperialistischem Internationalismus und „gleichzeitigem Aufbau von Kommunismus und Sozialismus“ war Weihnachten in Kuba eine bourgeoise Tradition: voller Heuchelei, US-amerikanischen Konsumismus und definitiv nicht atheistischer Grundierung. 1969 schließlich war es auch formal so weit. Denn Weihnachten fällt mitten in die Zeit der Zuckerrohrernte; der Feiertag wurde ersatzlos gestrichen.
Der Kaufrausch, den Kuba im November 1995 erlebte, hieß im Volksmund schnell „la revolución de la guirnalda“, die Revolution des Weihnachtsschmucks. Doch in Kuba ist nur eine Revolution zugelassen. So wurde das Zentralkomitee einberufen, um über eine Antwort auf die entstandene Weihnachtskrise zu beraten. Dabei hatte Kubas Regierung ja nie per Gesetz verboten, privat Weihnachten zu feiern oder Weihnachtsschmuck aufzustellen. Aber wer das tat, begab sich doch in erhebliche Distanz zu dem, was die Partei für revolutionär und richtig befand; die nachbarschaftliche Kontrolle war unvermeidlich, der soziale Druck groß, und entsprechend wenige beharrten darauf, Bäumchen ins Fenster zu stellen.
Doch nun war alles komplizierter. Den Anfang machten die Hotels. Für die Touristen könne man an Heiligabend nicht so tun, als ob nichts wäre. So wurde vor der Edelbar „Floridita“, in der schon Hemingway seine Daiquiris trank, der Türsteher in ein rotes Weihnachtsmannkostüm mit Stiefeln und Rauschebart gesteckt, auch wenn er noch so schwitzen mochte.
Die Dollarshops folgten. Denn die staatlichen Devisenläden richteten sich nicht mehr ideologisch nach gefestigten Fünfjahrplänen, sondern eher nach dem Prinzip, so viele Dollars wie irgend möglich in die Staatskassen zu lenken. So entschieden sich Import-Export- Funktionäre für Weihnachtskram. Was die Nachfrage angeht, war's ein Volltreffer. Doch damit war der Bann gebrochen. Denn wenn der sozialistische Staat selbst den Kubanern Weihnachtsschmuck verkauft, dann kann er auch nichts mehr dagegen haben, daß sie ihn kaufen.
Doch so einfach gab sich die Partei nicht geschlagen. Das Zentralkomitee verfaßte ein Kommuniqué, nach dem Weihnachtsschmuck in privaten Wohnungen erlaubt sei, nicht jedoch in staatlichen Einrichtungen – ausgenommen im Tourismusgewerbe. Über Nacht verschwanden die Weihnachtsartikel aus den Regalen vieler Dollarshops – schließlich sind das staatliche und keineswegs touristische Einrichtungen. Doch dies war ein „Fehler in der Interpretation“, wie es wenig später hieß. Das Verbot gilt nur für Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser usw. Die Devisenläden dürfen Weihnachtsschmuck haben und verkaufen. Dollar ist Dollar.
Aber auch die „Orientierung“ des ZK an die vom Weihnachtsverbot ausgenommenen Touristenhotels blieb nicht ohne Tücken: Nikolaus und Tannenbaum wurden erlaubt, nicht jedoch Krippenspiele. Pech für das staatliche Fünf-Sterne-Hotel „Cohiba“ in Havanna. Man hatte Eindruck machen wollen und von einer Bildhauerin eine Krippendarstellung mit Figuren ganz aus Butter anfertigen lassen. So wie für Paläste in der Wüste Wasserspiele unverzichtbar sind, so muß sich auch in Kuba der Reichtum gerade mit den größten Mangelprodukten ganz besonders präsentieren: Maria, lebensgroß aus Butter, Josef aus Butter, Jesus aus Butter, Ochs' und Esel aus Butter. Doch Orientierung ist Orientierung. Die Heilige Familie mußte wieder verschwinden. Vielleicht erlebt sie ja dieses Jahr mit päpstlichem Segen ihre Wiederauferstehung.
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