: "Urlaubsgeldkürzungen sind nötig"
■ Der Zankapfel bei der Tarifrunde 97 ist und bleibt die Lohnfortzahlung, meint Werner Stumpfe, Präsident von Gesamtmetall. Er verlangt bei der Tarifrunde Nullrunden und Kürzungen beim Urlaubs- und Weihnach
taz: Welche Regelung gilt, wenn Werner Stumpfe krank wird?
Werner Stumpfe: Ich habe meinem Personalbüro einen Vermerk geschickt, daß ich es für selbstverständlich halte, daß für mich die gleiche Regelung wie für meine Mitarbeiter gilt.
Ein Notat als nette Geste?
Im Gegenteil. Zu wissen, daß ich nicht Wasser predige und selber Wein trinke, sondern das, was ich von anderen verlange, auch selbst demonstriere, gibt mir ein unglaubliches Selbstbewußtsein.
Was würden Sie wählen? Weniger Gehalt oder weniger Urlaub?
Das weiß ich nicht, meine Arbeitszufriedenheit ist so groß, daß ich bisher noch nicht krank geworden bin.
Hohe Krankheitsstände sind also betrieblich bedingt?
Auch ich weiß aus meiner Zeit als Personalleiter, daß schlechte Führungskräfte die Mitarbeiter krank werden lassen. Aber wir haben den zweithöchsten Krankheitsstand der Welt, das kann nicht nur die Folge schlechter Menschenführung sein.
Wenn schlechtes Management für die Krankheiten mitverantwortlich ist, warum sollen dann die Arbeiter büßen?
Wir müssen von den hohen Lohnzusatzkosten runter.
An diesem Punkt geraten Ihre Verhandlungen mit der IG Metall regelmäßig ins Stocken. Wo bleibt der Spielraum für die nächsten Tarifgespräche?
Zähneknirschend akzeptieren wir, daß die IG Metall sagt: Die Zahl 100 hat für uns eine solche Symbolkraft, daß sie erhalten bleiben muß. Nun läßt das Gesetz aber die Absenkung auf 80 Prozent zu. Wenn wir also der Optik wegen den 100 Prozent zustimmen, muß die IG Metall uns bei der Bemessungsgrundlage entgegenkommen. Bei unter 90 Prozent liegt der Kompromiß.
Wie wollen Sie den erreichen?
Die IG Metall bietet an, die Überstunden herauszurechnen. Das wäre ein Schritt von 100 auf 95 Prozent. Das ist aber zuwenig und hat außerdem den Nachteil, daß es die Falschen trifft. Arbeitgeber mit schlechter Auftragslage sparen nichts. Und in gutgehenden Firmen werden gerade diejenigen bestraft, die viel arbeiten.
Wo kann man noch kürzen?
Die IG Metall hat bereits angedeutet, für eine Woche Krankheit jeweils einen halben Tag anzurechnen; das wäre der richtige Weg. Aber sie müssen einen weiteren Schritt machen.
Sie wollen auch das Urlaubs- und Weihnachtsgeld kürzen?
Ja, wir wollen die Berechnungsgrundlage ändern und auch dort die Überstunden herausnehmen.
Also noch mehr Einbußen für Vielarbeiter?
Der Tarifabschluß muß kostenneutral werden. Andernfalls können wir uns vom Flächentarifvertrag verabschieden.
Sie wollen keinen Inflationsausgleich gewähren?
Inflationsausgleich ja, aber es müßte dann etwa über Urlaubs- und Weihnachtsgeld kompensiert werden.
Was bieten Sie an beschäftigungssichernden Maßnahmen?
Ein kostenneutraler Tarifabschluß ist die erste Maßnahme.
Wie steht es mit Arbeitszeitverkürzungen?
Steht überhaupt nicht zur Debatte. Wir könnten über die Altersteilzeit reden. Die ist aber eine ganz teure Angelegenheit und verursacht überproportionale Kosten. Wenn wir fünf Jahre eine Nullrunde bei den Tarifabschlüssen fahren, könnten wir eventuell die Arbeitsplätze in der Elektro- und Metallindustrie erhalten.
Mehr fällt Ihnen nicht ein?
Wir werden in der Industrie keine zusätzlichen Arbeitsplätze schaffen können. Realistisch gesehen können wir noch nicht einmal die heutigen Arbeitsplätze sichern. Diesen Prozeß will ich verlangsamen, damit wir im Dienstleistungsbereich die Chance haben, Ersatzarbeitsplätze zu schaffen.
Aber Ihr Spagat ist nicht zwischen Industrie und Dienstleistungen, sondern zwischen profitablen und schwachen Betrieben.
Den schwachen Betrieben in unserer Branche müßte es möglich sein, einen Vertrag zu schließen, wonach Mitarbeiter auf tarifliche Leistungen verzichten können. Im Gegenzug verpflichtet sich der Arbeitgeber etwa für ein Jahr, keine betriebsbedingten Kündigungen auszusprechen.
Der Arbeitnehmer erhielte die Garantie auf seinen Arbeitsplatz?
In einer Marktwirtschaft gibt es keine Garantie.
Fürchten Sie nicht, mit dieser Haltung bei den kommenden Verhandlungen zu scheitern?
Ich fürchte keinen Streik. Die IG Metall und wir von Gesamtmetall haben nicht mehr die Chance, unseren Mitgliedern durch Tarifverträge schweren Schaden zuzufügen. Wenn wir Tarifverträge abschließen, die für die Unternehmen unbezahlbar sind, dann werden sie diese Verträge nicht anwenden. Sie werden entweder aus dem Arbeitgeberverband austreten oder Arbeitsplätze ins Ausland verlagern. Beides würde dazu führen, daß der Flächentarifvertrag seinem Ende zugeht. Aber das müssen wir dann eben kalten Herzens zur Kenntnis nehmen.
Sie rufen auf, den Flächentarifvertrag zu brechen?
Ich sage den Unternehmen: Eure betriebswirtschaftliche Verantwortung verpflichtet euch, einem unerträglichen Tarifvertrag auszuweichen.
Sie drohen mit Selbstmord von Gesamtmetall?
Wenn wir als Verband nur Arbeit leisten können, die weder den Unternehmen noch dem Erhalt von Arbeitsplätzen dient, dann erwarte ich von den Unternehmern, daß sie sagen: Arbeitsplätze und Betrieb sind wichtiger als Arbeitgeberverband und Tarifvertrag. Das ist doch selbstverständlich.
Interview: Barbara Dribbusch
und Annette Rogalla
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen