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Willkommen in Neurotica

■ Neu im Kino: „Female Perversions“ von Susan Streitfeld / Von kranken Karrierefrauen und kerngesunden Männern

„Kaufrausch, Kleptomanie, Freßsucht, Unterwerfung unter den Mann, Selbstverstümmelung und Magersucht“ – das sind nach der Definition von Louise J. Kaplan in ihrem Sachbuch „Female Perversions“ eben diese Triebverirrungen der Frauen. Die amerikanische Filmemacherin Susan Streitfeld war von dem feministischen Bestseller so beeindruckt, daß sie ihn als Spielfilm inszenierte. Und nun müssen fünf Frauen in knapp zwei Stunden Kinozeit diese Perversionen und die dazugehörigen Neurosen möglichst extrem und dramatisch vorführen. Leider sieht man der „Female Perversion“ der Regisseurin bei jeder Einstellung die didaktische Absicht an, und die Filmfiguren wirken nie wie lebendige Frauen,sondern wie wandelnde Fallgeschichten.

Während sich Susan Streitfeld sehr darum bemüht, eine extrem künstliche, fast avantgardistische Bildsprache zu entwickeln, ist der dünne dramaturgische Faden des Films konventionell: Zwei Schwestern mit entgegengesetzten Perversionen müssen sich zusammenraufen, und nach viel Streit und einem zerfetzten Kostüm kommen sie sich näher. Doch selbst Tilda Swinton, spätestens seit „Orlando“ die androgyne Ikone des europäischen Kunstkinos, kann dieser Geschichte kein Leben einhauchen. Als erfolgreiche Staatsanwältin ist sie die Hauptprotagonistin des Films und kann deswegen nicht einen Schritt tun, ohne von Gelüsten, Ängsten oder Halluzinationen geplagt zu werden. Sie kann in keinen Fahrstuhl steigen, ohne sofort dadurch gedemütigt zu werden, daß eine andere Frau den gleichen Lippenstift trägt. Und sobald sie auch nur für Sekunden die Augen zumacht, kann sich die Zuschauerin darauf verlassen, daß wieder eine surrealistische Traumsequenz mit Fesselungen und nackten Körpern unter Masken beginnt.

Die Regisseurin hat jede Szene so mit Informationen aus dem Buch vollgestopft, daß man nie genug Ruhe hat, das Gesehene halbwegs verständlich einzuordnen. Denn Streitfeld erzählt so verquer und überfrachtet, daß „Female Perversions“ eine geheime und wohl unbeabsichtigte Botschaft aussendet: In diesem so feministischen Film, an dem vor und hinter der Kamera fast aussschließlich Frauen gearbeitet haben, wirken die Männer vergleichsweise sympathisch und psychisch gesund.

Wilfried Hippen

Filmstudio und Cinema

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