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Olympia auf dem Laufsteg

Glamour der Ausbeutung: Im Taschen-Verlag ist ein Band mit Aufnahmen des deutschen Modefotografen Juergen Teller erschienen  ■ Von Brigitte Werneburg

Im Gespräch mit dem New Yorker Kunstkritiker Neville Wakefield gesteht Jürgen Teller, „wenn es um eine reine Modegeschichte geht, fällt mir nicht viel ein. Ich habe kein Bedürfnis, durch Kleidung eine bestimmte Story zu erzählen“, und er fährt fort, „aber wenn Venetia von etwas spricht, kann ich es innerlich sofort visuell umsetzen.“

Nun macht Jürgen Teller fast ausschließlich Modegeschichten, wie der jetzt bei Benedikt Taschen erschienene Fotoband zeigt. Und Venetia Scott ist seine Lebensgefährtin. Dank Tellers Bekenntnis vermeint man den Clou seiner Modefotografie entdeckt zu haben: Sie resultiert aus dem Blick eines jungen Mannes, den die Frau interessiert, und aus dem Blick einer jungen Frau, die die Mode fasziniert. Also zunächst keine ungewöhnliche Sache. Doch die für Juergen Teller, wie sich der 1964 in Erlangen geborene Fotograf international schreibt, offenkundig existentielle Kollaboration führt am Ende zu ganz eigenartigen Ergebnissen. Vielleicht schaut ja sie auf die Frau und er doch auf das Kleid. Scott/Tellers Blick ist jedenfalls nicht der Expertenblick, den der Mann für das Starmodel und den die Frau für die Mode reklamiert. Allein damit ist für beide, Models und Mode, viel gewonnen.

Seine bislang berühmteste und fragwürdigste Bilderstrecke produzierte Teller mit Kristen McMenamy für das Magazin der Süddeutschen Zeitung. „Es heißt, sie wird mißhandelt. Vom wem?“ lautete das Stichwort für ihren Auftritt. „Von der Maschinerie des schönen Scheins?“ Das las man eher als eine Finte. Denn auf den Fotos ziert Kristen McMenamys nackten Körper nicht nur ein Lippenstiftherz auf der Brust, sondern auch ein schwerer Bluterguß am rechten Schlüsselbein. Doch selbstverständlich geht es auch hier um den schönen Schein, der um so großartiger wirkt, als McMenamys unverstelltes körperliches Sein tatsächliche, offenbar unverletzbare Schönheit zeigt. Es ist vor allem sie, die hier ihr Handwerk souverän decodiert und destruiert ausstellt. Jürgen Teller gab ihr eine Bühne, die immer ein Hinterzimmer ist, das von Arbeit spricht; von Kälte, so daß sich McMenamy den Po am Heizstrahler wärmt; oder das von Hunger und Zeitnot spricht, so daß Kate Moss die brennende Zigarette und das angebissene Stück Brot in ein und derselben Hand hält. Jürgen Tellers Fotografie scheint sich vom Leben und der Arbeit hinter den Kulissen, und auch der Ausbeutung, die in der Mode steckt, überwältigen zu lassen. Sein Konzept zielt auf den blinden Fleck der Mode, den sie in ihrer Konzentration auf den Glamour verfehlen muß. Seine Modefotografie steht am Rand der Fotoreportage, sie wäre Dokumentation, wäre sie nicht Stil.

Zu diesem Stil gehört, daß man die Frage nach dem Ausmaß der Einflußnahme des Fotografen auf das Bild nicht beantworten kann. Oft scheint es sich um zufällige Fotos zu handeln, die ihr Motiv verfehlen oder es gerade noch halb erwischen. Deshalb gibt es so viele zerstückelte Körper; ein einzelnes Bein, einen eingegipsten Arm, über den sich die Manschette eines rosaroten Plastikhemds von Helmut Lang schiebt; und am schönsten eine Brust, die, vom Rückspiegel eingefangen, mitten im Himmel über der Autobahn schwebt: der Körper als Situation. Und nicht der Körper in einer Situation. Wenn die Mode für Jürgen Teller, wie Neville Wakefield meint, „eine Art Nährlösung“ ist, aus der er seine „eigene Fotokultur heranzüchtet“, dann fördert sie die Fotokultur eines Ikonoklasten.

Wahrscheinlich kam man nur als solcher Bildzerstörer Mitte der achtziger Jahre direkt von der Bayerischen Staatslehranstalt für Photographie zu i-D und den anderen britischen Trendillustrierten wie Arena oder The Face. Nur so inszeniert man ganz unbedacht Manets Olympia noch einmal mit Kirsten McMenamy – ohne daß die Sache Zitatcharakter hätte. Der schwarze Türstock ersetzt die schwarze Dienerin, das Herz mit dem Namen Versace, den Blumenstrauß und die Zigarette im Mund, die Blume im Haar. Und wenn McMenamy auch aufgerichtet steht – das Armband, der Halsschmuck und ihr Blick auf den Betrachter sind identisch.

Es ist die Mode, die Teller von seinem deutschen Kollegen bei i-D, Wolfgang Tillmans, trennt. Die Authentizität der jugendlichen Cliquen in London bei Tillmans, die irgendwo zwischen Mode und Dissidenz leben, steht gegen Tellers artifizielles Porträt des professionellen Modebetriebs. Das macht ihn in den neunziger Jahren auch für Kunstzeitschriften wie Artforum kompatibel.

„Juergen Teller“. Benedikt Taschen, Köln 1996, 176 S., 200 Abb., 39,95DM

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