„Wer sind wir heute?“

Winterliche Endzeitstimmung ist angesagt: Die Österreicherin Lisa D. präsentiert im Tränenpalast ihr Modedefilee. Herausgekommen ist ansprechende, tragbare Kleidung  ■ Von Kirsten Niemann

Eine Modepräsentation kann weit mehr sein als eine „normale“ Laufstegschau, bei der sich zahlungskräftige Damen lauernd in ihre Sitze drücken und im Geiste schon den bevorstehenden Einkauf heraufbeschwören.

Während die meisten Modemacher die Frage der Beleuchtung, Choreographie und Musik einem Fachmann überlassen, nahm die 40jährige Modedesignerin Lisa D. das alles selbst in die Hand. Schon seit einiger Zeit ging die Wahlberlinerin aus Graz eindrucksvollere Wege als den üblichen Catwalk- Marsch, um ihre Stücke zu präsentieren. Für die neueste Winterkollektion, die sie nun hier in Berlin unter dem Titel „Grönland Zwei oder Wer sind wir heute?“ vorstellte, schickte sie ihre Models, unter denen sich diesmal der immer wieder aufgeschlossene Otto Sander und andere Schauspieler befanden, direkt drauf aufs Glatteis.

Und es wurde Winter! Zu lauten Vivaldi-Klängen wurde zunächst einmal eine beträchtliche Menge Trockennebel auf die große eisige Schaufläche geblasen, so daß der Zuschauer schon befürchtet, nichts zu sehen zu bekommen. Doch schließlich kommt eine vermummte männliche Gestalt auf das Eis gewankt, dreht sich ein paarmal, legt ihren Mantel ab und bewegt sich rutschenderweise wieder zurück in Richtung Bühne.

Erst jetzt klärt sich das Bild allmählich auf, während Vivaldi sich hübsch verabschiedet und die nun folgende Musik – für die übrigens der Wiener Musiker und Komponist Wolfgang Mitterer verpflichtet wurde – zu einem schrägen tosenden Chaos ansetzt

„Modemusik“ heißt der eigens für diese Performance komponierte Sound, der die nun folgende Präsentation wie ein Hörspiel begleitet. Es ist laut. Klirrende, quietschende Klänge und schrille Stimmen-Mixe prasseln über die Gruppe vermummter weiblicher Models, die zu einem Treppenabsatz heraustreten, um sich dort ihre Schuhe anzuziehen, bevor sie vorsichtig und ein wenig steifbeinig auf der grobstrukturierten Eisfläche entlangschlittern.

Nicht ohne Grund hat die Designerin ihre Show als „Defilee“ ausgewiesen: mit geradem Rücken und starrem, nach vorn gerichtetem Blick, wie bei einer Militärparade, durchmessen die Models die Eisfläche. Den sonst üblichen Modelgang mit kessem Hüftschwung macht der holperige Untergrund geradezu unmöglich. Daß allen Mädels der ersten Gruppe die gleichen steifgelackten Perücken aufgestülpt wurden, als handelte es sich dabei um Kopfbedeckungen, mutet dabei fast grotesk an. Winterliche Endzeitstimmung ist angesagt, daran läßt die Designerin Lisa D. keinen Zweifel.

Jede Gruppe hält sich an eine andere Choreographie, wie auch die Funktion des Eises, die Musik und die Outfits variieren. Dennoch hat die gesamte Präsentation etwas sehr Archaisches. Selbst die meist rustikalen und aus Strick und Filz gearbeiteten Stücke scheinen aus einer alten Zeit zu kommen. Kettenhemden, Ritterrüstungen, Beduinenmäntel und mittelalterlich anmutende, knöchellange Strickkleider scheinen als Vorlagen für einige Teile gedient zu haben. Anderen gab man einen eher barocken Touch.

Vor der Inszenierung von „Grönland Zwei“ hat es natürlich auch ein „Grönland Eins“ gegeben, das Mitte Oktober im Rahmen des „Steirischen Herbsts“, eines Musikfestes in Graz – der Heimatstadt der Wahlberlinerin –, uraufgeführt und von der Presse hinreichend gefeiert wurde. Noch in diesem Winter wird die wundersame Show auf Deutschlandtournee gehen, „Grönland Drei“ – demnächst in München?

Doch nun ein kleiner Trost für alle, die die Schau nicht gesehen haben: Noch bis Mitte Dezember ist in einem bislang unvermieteten Laden in der Friedrichstadtpassage Lisa D.s Mode-Installation „Parade der Dinge von Gestern“ zu sehen.