: "Das Karussell dreht sich"
■ Debatten statt Boulevardisierung: Als neue Feuilleton-Chefin der "Zeit" will Sigrid Löffler mehr Pop- und Jugendkultur in die Hamburger Wochenzeitung holen
taz: Seit dieser Woche leiten Sie das „Zeit“-Feuilleton. Der Kulturteil macht am Donnerstag mit einem Text über den Kunstkommentar auf, der sich als Plädoyer für eine klassische Kulturkritik liest. Ist das programmatisch?
Sigrid Löffler: Das ist nur ein Teil der Programmatik. Das Zeit- Feuilleton besteht ja aus zwei Teilen. Das eine ist das klassische Rezensionsfeuilleton und das zweite ist das Debattenfeuilleton. Ich glaube, daß dieses in den letzten Jahren zu kurz gekommen ist und verstärkt werden sollte. Das Geheimnis wird eine Balance zwischen Rezensions- und Debattenfeuilleton sein.
Nun scheint es den großen Feuilletons in Deutschland nicht besonders gutzugehen. Das der „Zeit“ dümpelt seit Jahren unter ständig wechselnder Führung dahin, in der „FAZ“ gab es handfesten Streit und gleich mehrere meinungsbildende Blätter mußten sich in den vergangenen Monaten neue Kulturchefs suchen.
Der Markt ist in Bewegung. Von Krise kann überhaupt gar keine Rede sein. Das „FAZ“-Feuilleton ist unter anderem deshalb in Schwierigkeiten geraten, weil sich die „Berliner Zeitung“ eingebildet hat, plötzlich ein richtiges Feuilleton haben zu wollen. Das spricht doch eher für einen Zuwachs an Ehrgeiz – auch bei Zeitungen, bei denen man das bislang nicht vermutet hat. Dadurch hat sich das Karussell einmal zu drehen begonnen und jetzt dreht sich's. Das hat sich bald ausgedreht.
Michael Maier, der Chefredakteur der „Berliner Zeitung“ hat zur Neupositionierung seines Blattes zuerst einmal Feuilletonisten eingekauft. Kann am Feuilleton die eine Zeitung genesen?
Maiers Kalkül ist natürlich, mit dem Feuilleton neue Leser im Westen zu gewinnen. Das Kalkül ist richtig, ob es aufgeht, wird sich weisen. Zunächst ist natürlich das Feuilleton imnmer die Blume im Knopfloch einer Zeitung.
Der Ehrgeiz der „Berliner Zeitung“ hat nach sich gezogen, daß „FAZ“-Herausgeber Frank Schirrmacher sich nach neuen Mitarbeitern umsehen muß, die „Zeit“ hat sich umgesehen, ich habe mich umgesehen, und auch der neue „Tagesspiegel“-Herausgeber Hellmuth Karasek geht herum und schaut, wen er anheuern könnte. Das ist doch alles sehr spannend und eigentlich ein Lebenszeichen des Feuilletons.
Also gibt es die Krise des Feuilletons, von der allenthalben die Rede ist, gar nicht?
Krise ist ein Wort, das derart inflationär gebraucht wird, daß ich es nicht in den Mund nehmen möchte. Man muß auf eine sich rasant verändernde Kunstwelt neu und unverbraucht reagieren, man muß seine Reaktionsschnelligkeit lebendig erhalten. Aber das gilt immer.
Die „Zeit“ gilt nicht gerade als lebendig. Warum sind Sie denn ausgerechnet dorthin gegangen?
Weil sie das attraktivste Angebot ist, das man bekommen kann, wenn man meine Berufsgeschichte hat. Attraktiv ist die Möglichkeit, sich der allgemeinen Boulevardisierung entgegenzustemmen und zwar mit Wunsch und Willen der gesamten Redaktion. Ich habe Redaktionen erlebt, in denen es interne Kämpfe gibt, weil manche das Bedürfnis schon mal vorauseilend auf Boulevardniveau bringen wollen. Ich kenne diese Zerreißproben und sehe, daß die „Zeit“ ein Blatt ist, das – zumindest was die Redaktion anbetrifft – einhellig der Meinung ist, daß man die Qualität bewahren und nach Möglichkeit erhöhen muß.
Traditionell spielt das Feuilleton, auch in der „Zeit“, die Rolle der Opposition im eigenen Blatt. Wird das unter Ihrer Ägide so bleiben?
Ich hoffe doch. Ich glaube, daß man nur mit diesen konstruktiven Widersprüchen überhaupt auf ein interessantes Feuilleton kommen kann.
Werden Sie ein politisches Feuilleton machen?
Ja, natürlich.
Sie sind die erste Frau, die ein großes deutsches Feuilleton leitet. Wird man das merken?
Läuft das auf die langweilige Quotenfrage hinaus?
Eher auf die Frage nach einem spezifisch weiblichen oder feministischen Zugang.
Als Frau in dieser Branche hat man natürlich eine andere Entwicklungsgeschichte und andere Erfahrungen gemacht. Natürlich bringe ich das alles mit auf die Waage. Aber meine feministischen Kämpfe habe ich vor 20 Jahren ausgetragen. Ich glaube, die muß ich hier nicht mehr vorführen.
Die „Zeit“ ist ja trotzdem eher ein Männerblatt.
Ja. Aber erfahrungsgemäß sind die Leservorlieben nach den Ressorts gesplittet. Und das Feuilleton lesen eher Frauen. Mit der überkommenen Vorstellung, was Frauen gerne lesen und was Männer gerne lesen, habe ich sowieso nie etwas anfangen können.
Werden Sie Einfluß auf die Linie der „Zeit“ nehmen?
Das ist der Wunsch der Chefredaktion, mich da stark einzubinden. Mein Vorgänger [der ehemalige taz-Chefredakteur Arno Widmann, Anm. d. Red.], so höre ich, hat das nie gemacht, und das ist als Defizit beklagt worden. Ich habe in den ersten Tagen die meiste Zeit auf Konferenzen verbracht und bin eigentlich auch ganz froh darüber, denn die „Zeit“ ist ein Blatt das durchgesprochen wird, ehe es geschrieben wird. Das ist der Qualität ganz zuträglich.
In welche Richtung soll sich die „Zeit“ denn weiterentwickeln?
Ich denke, daß es das große liberale Forum aller Debatten der Gegenwart sein müßte und das auf einem hohen intellektuellen und sprachlichen Niveau. Das muß natürlich von Woche zu Woche neu erkämpft werden, auch am Kiosk. Wir alle wissen, daß sich die Leserschaft deutlich ändert. Die Aufmerksamkeitsspanne wird geringer, die Konkurrenz wird größer, die Zeit, die die Leute für Zeitungslektüre haben, wird geringer. Auf all das muß man natürlich Rücksicht nehmen, in dem Sinne, daß man es im Auge behält, ohne sich dem anzubequemen.
Der klassische Kulturbegriff hat seine Autorität verloren, die Leserschaft verjüngt sich. Wie wollen Sie auf beides reagieren?
Große Bereiche waren bislang im Feuilleton unterbelichtet. Dazu gehört Jugend- und Popkultur, Medienkritik und Medienkultur genauso wie die Debatte im weiteren Sinne, als intellektueller Diskurs. Das alles wird verstärkt stattfinden. Das heißt natürlich, daß man sich da personell arrondiert.
Sie nehmen ja unseren Literatur-Redakteur Jörg Lau als personelle Verstärkung mit. Wen denn sonst noch?
Außerdem Thomas Assheuer von der „FR“ und Thomas Mießgang (vormals „profil“).
Interview: Lutz Meier
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