Das Portrait: Rumäniens anderer Ministerpräsident
■ Victor Ciorbea
Victor Ciorbea glänzt nicht durch seine Erscheinung. Noch fesselt er durch sein Auftreten. Er spricht langsam und monoton. Auf den ersten Blick hinterläßt er den Eindruck eines staubtrockenen Technokraten, den nichts aus der Ruhe bringen kann. Trotzdem ist er einer der wenigen populären Politiker Rumäniens. Und für das Amt des neuen Ministerpräsidenten hätte es keine bessere Wahl geben können.
Victor Ciorbea hat sich sein Ansehen von jeher durch Leistungen erworben. Der 42jährige stammt aus einer Bauernfamilie, studierte in Cluj-Napoca (Klausenburg) Jura und beendete die Universität 1979 als Jahrgangsbester. Bis 1990 arbeitete er in Bukarest als Richter in Zivilangelegenheiten und als Juradozent. Bekannt wurde er nach 1990 als Mitbegründer der Lehrergewerkschaft und als Präsident einer rumänischen Gewerkschaftskonföderation.
Angebote der ehemaligen Regierungspartei, Vizepremier und Arbeitsminister zu werden, lehnte er ab und schloß sich 1994 dem oppositionellen „demokratischen Konvent“ an. Für diesen gewann er im Juni die Wahl für das Amt des Bukarester Bürgermeisters gegen den ehemaligen rumänischen Tennisstar Ilie Nastase.
Vor Monaten glaubte fast niemand daran, daß Ciorbea in der Lage sein würde, seine Versprechen einzuhalten. Darunter: die Bukarester Müllabfuhr wieder in Gang zu bringen sowie eine kostenlose Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel für Rentner und Studenten. Die ehemalige Regierungspartei hinderte ihn massiv an seiner Arbeit. Doch Ciorbea beklagte sich nicht. Wo überall die Mentalität des „Es geht nicht“ vorherrscht, verwirklichte er seine Vorhaben wenigstens teilweise. Rumänische Zeitungen schrieben enthusiastisch: „Und es bewegt sich doch etwas!“
Die Fähigkeit, die Bukarester Probleme erfolgreich anzupacken, verbindet sich bei Ciorbea mit einem bemerkenswerten Spürsinn für symbolische Gesten. Als Bürgermeister verzichtete er auf Leibwächter und luxuriöse Dienstwagen. In einem Land, wo die Arroganz, die Geltungssucht und die Korrumpiertheit der Macht kaum jemals Grenzen kannten, sind solche Gesten mehr als nur billiger Populismus. Ciorbea will diesen Stil auch als Ministerpräsident beibehalten. Er will nicht einfach ein neuer, sondern auch ein anderer Ministerpräsident sein. Keno Verseck
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