: Senat bricht Haushaltsrecht
■ Die Liste der ISP-Millionen steht im Haushalt – obwohl das Parlament sie nie beschloß
Bremens vorläufige Haushaltsführung im ersten Halbjahr war ein Verstoß gegen bremisches und bundesweit geltendes Verfassungsrecht. Das haben AFB und Grüne in einer Klage vor dem Bremer Staatsgerichtshof behauptet. Die Juristen des Finanzsenators haben dem Senat geraten, dem nicht förmlich zu widersprechen (vgl. taz vom 4.11.) Stattdessen bat der Senat das oberste Bremer Gericht, die Gerichtsverhandlung über den Herbst 1997 zu verschieben. Bis dahin wollte die Große Koalition die Haushaltspraxis ändern, um den verfassungsrechtswidrigen Zustand zu beenden.
Im Kern geht es darum, daß es im Bundesland Bremen keinen Haushaltsausschuß des Parlaments gibt – das ist in der Bundesrepublik einmalig. Der Staatsgerichtshof hat dem Senat nun eine Frist gesetzt: In zwei Monaten muß er entweder seine Rechtsauffassung begründen oder einräumen, daß die vorläufige Haushaltsführung rechtswidrig ist. „Sofern keine Stellungnahme beabsichtigt ist, bitte ich um Mitteilung“, schreibt der Staatsgerichtshof-Präsident Günter Pottschmidt süffisant.
Aber nicht nur die „vorläufige Haushaltsführung“ vom Frühjahr 1996, auch der ordentliche Haushaltsbeschluß vom Juni 1996 könnte das Interesse der Verfassungshüter auf sich lenken: Der AfB-Opposition fiel bei Lektüre der Druckfassung auf, daß auf den Seiten 786/7 Zahlenkolonnen stehen, die das Parlament nie beschlossen hat: „Erläuterungen“ steht darüber, dann folgen kursiv gedruckt Dutzende von Millionen-Summen – die Aufschlüsselung der 583 Millionen ISP-Investitionen für 1996/7. Darunter sind, was AfB-Chef Friedrich Rebers besonders ärgert, 3,3 Mio für die Straßenbahn Linie 4, die jetzt plötzlich im ISP auftaucht.
Der unbefangene Leser muß das Zahlenwerk für einen Teil des Parlamentsbeschlusses halten, also auch in seinen Einzelsummen für verbindlich – das sind sie aber nicht. „Das ist ein klarer Verstoß gegen Haushaltsrecht“, so Rebers. Denn eine Bindung durch einen Parlamentsbeschluß, der allein Haushaltsmittel freigeben darf, gibt es nicht. Bei den Haushaltsberatungen im Juni 1996 hatte der Senat die gesamte ISP-Planung noch nicht fertig und versprochen, daß dies bis Ende Juni nachgeliefert würde „Dies ist nie geschehen“, sagt Rebers. Offenbar habe die Koalition intern Probleme, sich genau festzulegen. Das muß auch dem Finanzressort aufgefallen sein – die kursiven „Erläuterungen“ sind die schlagende Dokumentation des schlechten Gewissens. Immerhin handelt es sich bei dem Geld des Investitions-Sonder-Programms (ISP) nicht nur um die größten Brocken frei entscheidbarer Haushaltsausgaben, sondern um das Überlebensprogramm Bremens. Daß ausgerechnet dies ohne Haushaltsbeschluß passiert, hat bei AfB-Geschäftsführer Neubrander literarische Phantasie provoziert. Um die spröde Materie plastisch zu machen, hat er einen Dialog zwischen dem Theoretiker der Gewaltenteilung, Montesquieu, und Bürgermeister Henning Scherf erfunden: In aller Freundlichkeit erklärt Scherf, daß es viel praktischer sei, ohne verbindliche Haushaltsbeschlüsse zu regieren. Montesquieu bleibt die Spucke weg, der Dialog über die diktatorische Regierungskunst Scherfs gipfelt in dem Ausruf: „Machiavelli hätte seine helle Freude an Ihnen gehabt.“ (Machiavelli ist der klassische Theoretiker der diktatorischen Regierungskunst. Kopien des Dialoges gibt es unter K.W.
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