: Schöne, heile Bilderwelt der Planer
taz-Debatte zum „Masterplan City Ost“: Wem gehört die Stadt? Denen, die sie planen, oder denen, die dort leben? Ist Urbanität nur die Kulisse für die Privatisierung öffentlicher Räume? ■ Von Ulrike Steglich
Zugegeben: Über „Urbanität“ habe ich nie nachgedacht, wenn ich mich früher auf dem Alex herumtrieb. Sollte er repräsentativ gemeint gewesen sein, so ist das wohl schiefgegangen, denn die DDR- Führung repräsentierte an anderen Orten. Berücksichtigt man noch staatstragendes Würstchenessen am 1. Mai und den jährlichen Journalistenbasar, so blieb als Rest banaler Alltag, der sich den Platz eroberte.
Über „Urbanität“ hat sich wohl selten jemand von denen Gedanken gemacht, die im Sommer die Springbrunnen und Bänke bevölkerten, den Spektakeln der Schauspielstudenten zusahen oder auf den Schrägen des Fernsehturms tobten. Über „Urbanität“ wurde nicht in der „Tute“ geredet, vor der allabendlich mißtrauische Vopos lauerten, weil die Kneipe als Treff der Renitenzler galt. Nach deren Schließung wurde kurzerhand das Café unter dem Fernsehturm zum Treffpunkt und auf den Namen „Größenwahn“ getauft. Wenn früher von einem Platz des Volkes die Rede war, war bestimmt nicht das gemeint, was sich schließlich am 4. November abspielte – aber es war wie selbstverständlich der Alex, den sich das Volk nahm.
Wem gehört die Stadt? Den Stadtplanern und Politikern? Schaut man sich die „Masterplanung“ an, hat man den Eindruck, als wären diese Ost-Orte der Aneignung bloße Manövriermasse, leblose Baukörper, die beliebig zur Disposition stünden, um nun endlich das einzig gültige und verkäufliche Bild von Stadt zu schaffen.
Oder gehört die Stadt, unabhängig davon, wie sie zunächst aussieht, ihren Bürgern? Ist „Urbanität“ nicht eher aktive Aneignung statt gestatteter Nutzung?
Der Alexanderplatz mußte jedenfalls nicht dicht bebaut sein, um ihn sich anzueignen. Er mußte vor allem Platz sein und öffentlich. Daß ich den Alex als „meinen“ betrachtete, wurde mir erst bewußt, als er es nicht mehr war. Auch „mein“ Haus war nicht mehr „meines“, sondern plötzlich eine verwertbare Immobilie – noch verwertbarer ohne seine Bewohner. Mit dem Ostteil der Stadt hatte sich ein riesiges, verlockendes Potential aufgetan. Es galt, Grundstücke und Immobilien zu verteilen, Nischen zu besetzen oder nun: eine „neue Mitte“ zu bauen.
Pionierzeit also. Über die Auguststraße schrieb Galerist Klaus Biesenbach 1992: „Ende der achtziger Jahre war das Gebiet fast menschenleer und in marodem Bauzustand. Die ersten Neusiedler waren dann Hausbesetzer, die Wohnungen, Fassaden und Höfe auf ihre Art umgestalteten.“ Wäre das Gebiet tatsächlich menschenleer gewesen, hätte der Mitbegründer der „Galerienmeile“ nicht über die heute so begehrte „Vorstadt“ schreiben können. Schließlich waren es die angeblich nicht vorhandenen Eingeborenen, die den bereits 1988 geplanten Abriß des Viertels verhinderten, in dem Biesenbach nun seine „Kunst- Werke“ betreibt.
Aber nicht nur für ihn kamen die real existierenden Bewohner nicht vor. Auch in den Masterplanspielen sind sie eine schlicht zu negierende Größe. Das Urbanitätsverständnis vieler Planer hat offenbar mit der Alltagsrealität derer, die verplant werden, nur am Rande zu tun – mit der Bilderwelt der Planer dagegen um so mehr.
Doch diese Bilderwelt, die Hoffnung, daß sich – wenn man nur kleinteilig genug bebaut – das richtige Verhalten der Stadtbevölkerung schon einstelle, könnte sich schon bald als Illusion erweisen. Allein die Pleite in der Friedrichstraße hätte die Masterplaner eigentlich eines Besseren belehren müssen: Der bloße Bau von Passagen erzwingt noch lange nicht ihre Nutzung.
Nicht umsonst seien die Altbauquartiere Charlottenburgs oder Schönebergs beliebtere Wohnquartiere als etwa die emmissionsbelastete Leipziger Straße, behauptete Stadtentwicklungssenator Strieder. „Ich wohne gerne in der Leipziger Straße“, sagte dagegen ein Mitstreiter der dortigen Stadtteilvertretung, „und ich kenne viele, denen es ebenso geht. Aber geplant wird von Leuten, die sich noch nicht einmal vorstellen können, daß man sich dort wohl fühlen kann.“
Besteht die Bewohnerschaft der verplanten Orte verstockt darauf, wenigstens zur Kenntnis genommen zu werden, beugen sich die Planer irritiert über ihre sauberen Modelle: Da krabbelt ja was! Es folgt der obligatorische Stoßseufzer: „Wie kann man nur so leben!“ In den „grauen Plattenbaughettos“, an den „emissionsbelasteten Straßen“, an „zugigen Plätzen“ (nein, nicht der Ernst-Reuter- Platz). Wer kann so etwas ernsthaft verteidigen? Doch nur Stasi, Ex-Bonzen und „rote Socken“, Ewiggestrige eben. Selbst wenn es so wäre, sie sind ja nun einmal da.
Der Ruf aber nach Bürgerbeteiligung geht den Sandkastenkapitänen dann endgültig zu weit – so war das mit der Aneignung nicht gemeint. Aneignen soll man sich, wenn überhaupt, das, was einem vorgesetzt wird (so war es im Osten schließlich auch). Was lebenswert ist, wird gleich mitgeliefert: „Urbanität ist Dichte“, so lautet die Parole. Das Areal um den Fernsehturm dagegen sei nicht dicht, sondern eine städtebauliche Wüste. Areal also für die Pioniere: „Eine räumlich und baulich unzureichende Brache“, die durch Verdichtung „aufgewertet“ werden könne“, sieht Senator Strieder folglich im Bereich um die „bloßgestellte“ Marienkirche. Allerdings wird dort kaum die bankrotte öffentliche Hand bauen, sondern die vielen Privaten, denen die Grundstücke (parzelliert, versteht sich) verscherbelt werden. Aber welcher Raum bliebe, den sich Bürger dort noch aneignen könnten? Büros? Fassaden? Schaufenster?
Wem gehört die Stadt? „Urbanität“ und „Verdichtung“, verstanden als ideologische Nebelkerze zur Verschleierung schlichter Verwertung, ist zumindest eine Antwort. Allerdings sollte man bei der Planung einer solcherart „urbanen“ Stadt bedenken, daß schon eine kleinere Ansammlung von Bürgern, die sich nicht mehr länger für ihre bloße Existenz entschuldigen wollen und sich wieder Platz aneignen, die dann „rückgebauten“ Straßen hoffnungslos verstopfen würde.
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