: „Wie die erste Lesbe“
■ In den Krimis der US-Amerikanerin Mary Wings geht eine Detektivin auf Mörderjagd und wird langsam zur Freundin ihrer Schöpferin
Wehe der Marienstatue, die Mary Wings in die Finger gerät. „Kopf ab!“ heißt es dann für die Mutter Gottes. Ehe Maria sich versieht, hat die Schriftstellerin sie enthauptet und einen Gips-Tierschädel auf den heiligen Hals geklebt.
Aggressionen einer Schreibtischtäterin? Vielleicht, aber nicht grundlos: „In einem meiner Bücher gibt es eine Künstlerin, die Marienstatuen macht“, erzählt Mary Wings. „Danach haben mir alle Leute diese Figuren geschenkt. Ich habe angefangen, sie zu hassen.“ Himmlische Rache heißt das Buch, und Wings hat es geschrieben, um von Emma Viktor loszukommen. Zwei Bücher mit der lesbischen Detektivin hatte Wings schon geschrieben, und ihre Leserinnen wollten mehr: mehr Emma Viktor-Fälle und mehr Einblick in die lesbische Szene von San Francisco.
Diesen Wunsch hat die Amerikanerin mittlerweile erfüllt: Das dritte Buch mit Emma, Sie kam gestochen scharf, ist auf deutsch beim Hamburger Ariadne-Verlag erschienen. Wie die ersten Bände spielt Sie kam gestochen scharf im homosexuellen Milieu von San Francisco, wo Emma Viktor einen Mörder jagt. Nebenbei läßt sie sich piercen, schimpft über Paartherapeuten und beendet ihre lesbische Ehe mit der Frauenärztin Frances.
Wings hat sich mit ihrer Heldin ausgesöhnt und spricht von ihr wie von einer Freundin. „Emma ist in vielen Beziehungen wie ich“, sagt sie. „Aber ich sitze den ganzen Tag am Schreibtisch, und Emma ist immer unterwegs. Sie kompensiert meine Unbeweglichkeit.“ Festgefahren wirkt die Mary Wings jedoch nicht: Zehn Jahre lang hat sie mit ihrer Freundin in einer Kommune in Amsterdam gelebt. „Da gab es viele verrückte Regeln“, grinst die Autorin. „Paare durften nicht zusammenleben, sondern mußten mindestens eine Etage zwischen sich haben.“
In dieser Zeit erdachte Wings die monogame und wertkonservative Emma. Die Detektivin ist die einzige ausgearbeitete Person in Wings' Geschichten. Sie bewegt sich zwischen Stereotypen wie chauvinistischen Polizisten und emotionalen Psychotherapeutinnen. „Ich zeichne ein Bild von San Francisco“, rechtfertigt sich die Autorin. „Die Bösen sind immer etwas böser, die Guten immer ein bißchen besser“ als in Wirklichkeit. Vorurteile über lesbische Männerhasserinnen bestätigen Wings' Bücher nicht. Abgesehen davon, daß Emma sich in Frauen verliebt, unterscheidet sie nichts von ihren heterosexuellen Kolleginnen. Auf Frauenfeindlichkeit reagiert die Romanheldin eher resigniert als zornig – im Unterschied zu ihrer Schöpferin, die einmal ihrem Bruder mit Hausverbot drohte, weil der einen Witz über einen schwulen Freund machte.
Daß Mary Wings zu schreiben anfing, hatte wetterbedingte Gründe. In Holland suchte sie eine Beschäftigung für verregnete Kommunenabende. Als sie zwanzig Seiten geschrieben hatte, fuhr sie zu einer Buchmesse und fand jemanden, der das schlußlose Werk kaufte. Von da an schrieb sie weiter, mit dem Ziel, „eine gute Geschichte zu erzählen“. Ob für Homo- oder Heterosexuelle, ist ihr dabei egal. Daß sie gesellschaftliche Probleme in ihren Büchern nur anreißt und nicht löst, stört Mary Wings nicht. „Ein Autor sollte Fragen stellen und nicht beantworten“, weist sie den Anspruch auf Lebenshilfe zurück.
Oft genug hat sie das Gefühl, daß „die Leute mich anstarren, als sei ich die erste Lesbe, die sie sehen“, wundert sich Wings. Dann ist sie es leid, unter ihrem Foto in den Zeitungen die Worte „Lesbische Autorin Mary Wings“ zu lesen und kommt sich vor „wie im Zoo“, allerdings einen, in den sie sich selbst sperrt. In diesem Zoo wird sie noch eine Weile bleiben. Das vierte Buch mit Emma ist fertig, weitere sechs sind geplant. Bis die herauskommen, werden noch viele Marienköpfe rollen. Judith Weber
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