Mehr als eine Handvoll Aspirin

■ Deutsche Schmerzhilfe kritisiert akuten Notstand in der Schmerztherapie

Dauerschmerz verändert das Leben, reißt die Leidenden aus ihrem Lebensrhythmus und treibt sie zur Verzweiflung, wenn er nicht erfolgreich bekämpft werden kann. Betroffen sind am stärksten Patienten mit Krebserkrankungen, chronischen Rückenleiden oder Phantomschmerzen nach Amputationen.

Diese oft als „austherapiert“ geltenden Patienten werden von niedergelassenen Ärzten häufig abgewiesen, wenn es um Medikamente oder schmerztherapeutische Leistungen geht. Darauf hat gestern die Deutsche Schmerzhilfe e.V. hingewiesen. „Man kann Krebskranke oder Patienten mit chronischen Schmerzleiden nicht mit ein paar Aspirin abfertigen und sie dann sich selbst überlassen“, kritisiert Hugo Baar, Schmerztherapeut und Präsident des Verbandes. Dennoch hätten Mediziner mit dem Hinweis auf das seit 1995 eingeschränkte Arzneimittelbudget mehrfach Dauerschmerzmittel nicht mehr oder nur auf Privatrezept verschrieben.

Der Schmerzhilfeverband fordert daher, die von Bonn verordnete Budgetierung der Dauermedikamente zur Schmerzbehandlung aufzuheben und den chronischen Schmerz so wie Diabetes oder Rheuma als chronische Erkrankung anzuerkennen. Zusätzlich sollen die anerkannten Behandlungsmethoden von den Kassen finanziert werden, was bisher nur Hamburg als einziges Bundesland praktiziert.

„Wenn ich einen Ganzkörpergips tragen würde, wäre vieles leichter“, deutete Rainer Sch. gestern seine bittere Situation an. Nach außen hin ist dem Patienten einer Hamburger Schwerpunktpraxis für Schmerztherapie von seinem chronischen Leiden nichts anzumerken. „Man sieht ja nichts“, sagt der mehrfach am Rücken operierte Hausmeister einer Schule, den es deprimiert, daß ihn Leute „für einen Drückeberger“ und nicht für einen chronisch Bandscheibengeschädigten halten. „Anfang der 90er Jahre erlitt ich einen Nervenzusammenbruch“, so der Schmerzpatient. Nach etlichen Klinikaufenthalten und drei Selbstmordversuchen fand er Hilfe in der Schwerpunktpraxis. Aufwendige Behandlungen konnten den Dauerschmerz vermindern. Wie viele andere Schmerzkranke hatte der 51jährige bereits einen jahrelangen Weg und mehrere Operationen hinter sich sowie erfolglos ein Dutzend Ärzte konsultiert. Ihm droht nun die vorzeitige Verrentung.

Doch nur ein Teil der Schmerzpatienten könnte von den Schwerpunktzentren versorgt werden. In Hamburg sind dies etwa 2000 chronisch Kranke. Viele tausend andere werden von niedergelassenen Ärzten betreut und dort häufig nicht mit Hilfe, sondern mit Gerede von Arzneimittelsparmaßnahmen konfrontiert. Lisa Schönemann