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Poetische Hymne und Liebeserklärung

■ Ralph Giordano liest morgen aus seinem neuen Werk „Mein irisches Tagebuch“

„Nirgendwo auf der Welt gibt es Gesichter wie in Irland, es sei denn bei den emigrierten Iren“, schreibt Ralph Giordano in seinem Buch, das zu den spannendsten Publikationen dieses Irland-Bücherherbstes gehört.

Von März bis August 1995 fuhr Giordano in seinem legendären alten Ford kreuz und quer durch die beiden Teile Irlands, von den Blaskets bis nach Glencolumbkille, von den Arans bis nach Achill Island. Ausgestattet mit einer besonderen Beobachtungsgabe für Menschen und Situationen gelang ihm ein Buch, das so einzigartig ist wie das Land, das es beschreibt.

Längere Perioden verbringt Giordano in ländlichen Rückzugsgebieten wie am Lough Sheelin, wo er sein irdisches Paradies findet. Dublin hingegen war seit seinem letzten Besuch als Fernsehmann nicht wiederzuerkennen. Die Republik Irland boomt als Finanz- und Wirtschaftsstandort des High Tech Zeitalters – nicht zuletzt wegen der üppigen EG-Subventionen, die in der Zukunft wohl etwas spärlicher fließen dürften. Hier ist ein wirkliches Stück europäischer Integration gelungen, worüber Giordano facettenreich berichtet.

Doch Giordano wäre nicht Giordano, wenn er nicht die Schattenseiten des rapiden sozialen Wandels reflektieren würde. So beschreibt er den wachsendem Materialismus einer sich rapide entwickelnden Erwerbsgesellschaft bei gleichzeitig unterentwickeltem Ökologiebewußtsein. Außerdem, so Giordanos Beobachtung, täuscht die mangelnde Streitkultur und das starke Harmoniebedürfnis der Iren eine kulturelle Ungebrochenheit vor. Tatsächlich jedoch weiche man Problemen und deren Lösungsversuchen gern aus. Doch: Im Vergleich mit Deutschland kommt Irland allemal gut weg. Gelassen und unverbissen kommen jene Menschen, die Giordano mit Liebe und Anteilnahme beschreibt, daher.

Sein Fazit lautet: „Wer mich fragt, welches Volk meinen Kenntnissen nach das freundlichste und umgänglichste sei, dem werde ich immer noch antworten: das irische.“

Giordano, weitgereist, welterfahren und stets genau hinblickend, ist das Gegenteil eines freifabulierenden Dichters. Mit diesem Autor stellt sich ein verlorengegangener Typus neu vor, der in die Reihe der bedeutenden politischen Reiseschriftsteller dieses Jahrhunderts wie George Orwell oder Arthur Koestler gehört.

Er hat ein Buch vorgelegt, das eine poetische Hymne auf das Land ist, das uns so rückständig und schön erscheint. „A rattling good read for lovers of literature“, wie die Iren sagen würden.

Martin Rooney

Lesung: Ralph Giordano, „Mein irisches Tagebuch“, 28.11. um 20 Uhr im Theater am Leibnizplatz (Eintritt DM 10,- / 8,-)

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