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Lukaschenko hebelt Opposition weiter aus

■ Weißrußlands diktatorischer Präsident läßt 112 ihm ergebene Abgeordnete einfach ein neues Parlament bilden. Das Amtsenthebungsverfahren ist gestoppt

Minsk (dpa) – Der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko hat nach dem Referendum über erweiterte Vollmachten ein neues, ihm ergebenes Parlament gebildet und mit dessen Hilfe ein Amtsenthebungsverfahren gestoppt. 112 von ihm ausgesuchte Abgeordnete des alten Obersten Sowjets erklärten sich am Dienstag zum Unterhaus des neu zu bildenden Zweikammerparlaments, wie die Agentur Interfax in Minsk meldete.

Dieser Handstreich bedeutete praktisch die Auflösung des bisherigen Obersten Sowjets mit 199 Abgeordneten. Nur noch etwa 50 Deputierte, die zur Opposition gegen Lukaschenko gehören, kamen unter Leitung des bisherigen Parlamentsvorsitzenden Semjon Scharezki im alten Sitzungsgebäude zusammen.

Das selbsternannte neue Parlament beschloß als erstes, das gegen Lukaschenko eingeleitete Verfahren zur Amtsenthebung zu stoppen. Zu dem „Repräsentantenhaus“ gehörten auch zwölf Abgeordnete, die noch vergangene Woche seine Absetzung unterstützt hatten. Sie zogen ihre Unterschrift zurück, so daß die Zahl der Antragsteller unter das Minimum von 70 Deputierten fiel. Auch das Verfassungsgericht in Minsk beriet am Dienstag über die Fortsetzung oder Einstellung des Amtsenthebungsverfahrens. Der Präsident hatte am Montag in drohendem Ton ein Ende des Verfahrens gefordert: „Das Verfassungsgericht wird wohl kaum den erklärten Willen des Volkes ignorieren.“ Bei einer Umbildung des Gerichts werde er nur Richter übernehmen, „die ihre politischen Forderungen fallenlassen“.

Als Ergebnis des Referendums war in Minsk mitgeteilt worden, 70,2 Prozent der Wähler am Sonntag hätten für Lukaschenkos Verfassung gestimmt. Opposition wie internationale Beobachter gingen davon aus, daß dies Resultat nur durch massive Wahlfälschungen zustandekam.

Der russische Präsident Boris Jelzin forderte von Moskau aus Lukaschenko zu „ausgewogenen Schritten“ auf. Das Eingreifen Rußlands in den Machtkampf in Weißrußland habe geholfen, „die Gesellschaft von einem gefährlichen Abgrund wegzuführen“, sagte Jelzin. Der russische Ministerpräsident Wiktor Tschernomyrdin hatte vergangenen Freitag mit beiden Seiten einen Kompromiß ausgehandelt, der aber nicht eingehalten wurde.

Die USA hatten das Referendum in Weißrußland am Vortag als „nicht frei und fair“ bezeichnet. Die Opposition habe keine Chance zur offenen Diskussion gehabt. Die Außenminister der Europäischen Union hatten Lukaschenko aufgerufen, das Urteil des weißrussischen Verfassungsgerichts über die Rechtmäßigkeit des umstrittenen Referendums zu akzeptieren.

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