: Kunst nicht aus dem Bauch heraus
■ Am Wochenende im TheaLit: Reisen einmal anders – „Fernerkundungen“
Zuerst eroberten sie die Lüfte, dann konnten die Ballonfahrer nicht genug davon bekommen, wie die Erde von oben aussah. Flüsse wurden zu Linien, Äcker zu Puzzlestückchen und Straßen zu kleinen Strichen. Ein einzigartiges Muster, geschaffen von Mutter Natur. Es brauchte jedoch noch viele Anläufe, bis 1887 die erste bekannte „forstliche“ Luftbildaufnahme geschossen werden konnte. Heute liefert die Weltraumforschung Informationen über die Erde und andere Himmelskörper per Satelliten und Flugzeug. Und weil diese Bilder das kontaktlose Erforschen aus der Ferne ermöglichen, heißt die dazugehörige wissenschaftliche Disziplin „Fernerkundung“. Diesen Begriff kann man auch auf eine Reisebewegung übertragen, meinen die Mitarbeiterinnen vom Frauenkulturhaus TheaLit. Ihre neueste Veranstaltungsreihe, die Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen zu eben diesem Thema zusammenbringen will, heißt „Fernerkundung. Aufzeichnungen und Entwürfe von Reisen.“
Von wo aus läßt sich die Ferne erkunden? Von nah oder fern? Auf welche Reisen schickt uns die Computer-Simulation? Was haben Raumfahrt und Fernchirurgie gemeinsam? „Wir haben Wissenschaftlerinnen und Künstlerinnen eingeladen, die in einer Art Laboratorium Verbindungslinien zwischen Weltraum- und Reiseforschung ziehen werden“, erklärt TheaLit-Frau Andrea Sick das Projekt. Die Medienwissenschaftlerin betont, daß Kunst, die sich mit neuen Medien und virtueller Realität beschäftigt, sich auch mit den Naturwissenschaften auseinandersetzen muß. „Es geht um unterschiedliche intellektuelle Zugänge. Kunst sollte nicht nur aus dem Bauch heraus verstanden werden“, begründet Andea Sick den theoretisch-wissenschaftlichen Ansatz von TheaLit. Dafür müsse man auch in Kauf nehmen, daß das interdisziplinäre Programm nicht das breite Publikum anspricht.
Als Andrea Sick in Bremen nach Bezügen zum Thema suchte, waren die Orte, die nah am Thema Ferne liegen, schnell ausgemacht: das Überseemuseum und das Olbers- Planetarium.
Im Planetarium wird die Physikerin Christina Scholz über die Sternenforscherin Caroline Herschel berichten, die bereits im 18. Jahrhundert vielen Kometen auf die Spur kam (29.11., 19.30).
„Telepräsenzen“ heißt ein Video-Vortrag der Hamburgerin Claudia Reiche, mit Bildern der Fernübertragung aus dem Weltall und dem menschlichen Körper (30.11., 11 Uhr, TheaLit).
Auch Vulkane werden per Fernerkundung erforscht. Die Berliner Künstlerin Valeska Peschke inzeniert dazu eine Performance, in der sie Vulkane ganz anderer Art darstellt: Sie vergleicht das Zusammentreffen von Ost- und Westberlin mit dem Zusammenstoß zweier Kontinentalplatten und präsentiert in einer „Versuchsanordnung“ auf kunstvolle Weise „Heimische Vulkane“, die sie in Berlin ausgemacht hat (30.11., 13 Uhr, TheaLit).
Welche Drähte aus der Spinnenforschung zum Internet führen, das wird die Konzept-Art-Künstlerin Helene von Oldenburg im Überseemuseum nachweisen. Außerdem darf man gespannt sein, wohin ihre Zeitreise durch die Sammlung des Museums führt (1.12., 11 Uhr).
„Finden Sie den Platz des Himmlischen Friedens“ - so heißt die Aufforderung eines visuellen Suchspiels, das Andrea Sick entwickelt hat. Ausgangspunkt ist das Satellitenbild mit seinen einzigartigen „Mustern“ der Erdoberfläche (1.12., 18 Uhr im TheaLit).
Fernerkundungen damals und heute – die Faszination der Ballonfahrer von einst scheint auch heute ungebrochen zu sein.
Beate Hoffmann
„Fernerkundung“, vom 29.11.-1.12.; das vollständige Programm ist im TheaLit erhältlich, Telefon 70 16 32
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