: Nur Reparatur statt Demontage
Serie „Industriestadt auf dem Prüfstand“ (Folge 7): Die Umweltwirtschaft floriert nur dort, wo sie die Produktionsweise der Industriegesellschaft nicht grundsätzlich in Frage stellt ■ Von Hannes Koch
An einem gigantischen Projekt arbeiten die ForscherInnen in Charlottenburg. In der kreisrunden, futuristischen Glashalle des Produktionstechnischen Zentrums Berlin (PZB) probieren sie Maschinen aus, die die Produkte der Wohlstandsgesellschaft planmäßig zerstören. Ein Roboter schlägt Kerben in Schrauben, die Autos, Waschmaschinen und Kühlschränke zusammenhalten. Die Demontage-Fabrik der Zukunft wird die ausrangierten Konsumgüter in ihre Einzelteile zerlegen.
Ein radikales Vorhaben, das dazu neigt, die Industriegesellschaft in ihrer herrschenden Form abzuwickeln. Die Zerlegung einer Spülmaschine nimmt im Experiment die Demontage einer ganzen Produktionsweise schon vorweg. Müll ist dann nicht mehr Müll, Abfall gehört nicht länger auf die Deponie.
Denn die Destruktion ist nur Voraussetzung einer neuen Art von Konstruktion. „Man stelle sich vor, wir könnten einen alten Kühlschrank durch Betätigen einer Schraube so zerfallen lassen, daß die Teile sortenrein fraktioniert werden“, entwirft PZB-Professor Günther Seliger seine Vision. Dann kann man wiederverwendbare Komponenten auch leicht wieder in neue Geräte einbauen. An die Stelle des industriellen Ex- und-hopp-Prinzips, der schrankenlosen Verschwendung der natürlichen Ressourcen, tritt allmählich die Kreislaufwirtschaft.
Ein gefährliches Unterfangen – zumindest für die traditionelle Industrie. Wenn Teile von bereits produzierten Gütern prinzipiell zurückgewonnen werden können, entsteht die Forderung nach deren Langlebigkeit. Eingeplante Sollbruchstellen, kurze Lebenszyklen, schneller Verschleiß und Profit sind dann out. Anstatt die neue Generation eines Produktes zu verkaufen, findet die alte noch einmal Verwendung. Schon verspüren manche Firmen einen Vorgeschmack dieses Druckes. „Wir unterhalten uns heute mit Siemens, wie die Produkte und Maschinen von morgen aussehen sollen“, sagt Katrin Müller, die an der Demontage-Forschung mitarbeitet.
Die Entwicklerin schränkt aber ein: „Eine wirtschaftlich arbeitende Fabrik dieser Art hat noch keine Chance.“ Dazu bedürfte es einer Nachfrage nach Zerstörungsleistung. Die aber ist heute kaum vorhanden, denn die gesetzlichen Regelungen zur Wiederverwendung der eingesetzten Materialien fehlen. Der Staat ist mit der Verschwendung, die seine Industrie praktiziert, noch einverstanden.
So ist die Lage der Demontagetechnologie symptomatisch für weite Bereiche der Umweltwirtschaft – auch in der Region Berlin- Brandenburg. Sobald die Machtverhältnisse und die Prinzipien der gegenwärtigen Produktionsweise grundsätzlich in Frage gestellt werden, fristen die ForscherInnen und Betriebe, die sich darum bemühen, ein Schattendasein. Es gibt viele aussichtsreiche Ansätze bei der Forschung – doch in konkrete Produktion oder viele Arbeitsplätze haben sich die Aktivitäten bislang nicht umgesetzt.
Der Senat und die Wirtschaftsförderorganisation „Partner für Berlin“ hegen zwar die Hoffnung, die Umwelttechnologien in Zukunft zu einem Boomsektor der hiesigen Wirtschaft zu machen. Bislang allerdings sieht die Realität eher bescheiden aus: Rund 400 Unternehmen in der Stadt liefern ökologische Produkte und Dienstleistungen. Etwa 13.000 Beschäftigte verdienen damit ihr Geld, nur etwa 4.000 davon arbeiten in der Produktion – im Vergleich dazu gibt es trotz enormer Jobverluste bei der klassischen Industrie dort immer noch etwa 180.000 Arbeitsplätze.
Vor allem diejenigen Umweltbranchen prosperieren, die – weit entfernt von produktiver Demontage – vor allem mit der Reparatur offenkundiger Fehlentwicklungen beschäftigt sind. Dazu gehören die Beseitigung von Giftrückständen auf Industriebranchen und die Qualitätssicherung beim Trinkwasser. Weil angesichts der grassierenden Deindustrialisierung weite Felder ehemaliger Fabrikgelände zu säubern sind, blicken die Altlastenentsorger recht optimistisch in die Zukunft. Und für die Wasserwirtschaft der Region hat das Institut für Ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) eine Nachfrage von rund 24 Milliarden Mark analysiert. Ganze Trinkwassernetze in den Umlandgemeinden müssen erneuert werden.
Anders in der Energiewirtschaft: Dieser Sektor der Umweltbranche dämmert vor sich hin. Umweltsenator Peter Strieder (SPD) preist Berlin zwar bei jeder Gelegenheit als „Solarhauptstadt“ der Bundesrepublik, doch tatsächlich fehlt die starke staatliche Unterstützung, die die Stadt durchaus zu liefern in der Lage wäre. Wie im Falle der Demontagefabrik gilt auch hier, daß ein Durchbruch der Solarenergie etablierte wirtschaftliche Interessen grundsätzlich bedrohen würde.
Dabei sind die Ansätze eines wachsenden Wirtschaftsgeflechts durchaus vorhanden. Dutzende von Firmen und Handwerksbetrieben beschäftigen sich mit dem Bau von Solaranlagen und ihren Komponenten. UFE-Solar in der Uckermark und KBB Kollektorbau in Berlin stellen Sonnenkollektoren zur Warmwassererzeugung her, Wuseltronik aus Kreuzberg liefert Wechselrichter, die den Strom aus Photovoltaikzellen verarbeiten. Am Hahn-Meitner-Institut erforscht die Arbeitsgruppe „Solare Materialien“ die Werkstoffe der Zukunft, und im nächsten Jahr soll das Umwelt-Technologie-Zentrum in Adlershof ebenso mit einem Schwerpunkt für Solartechnik starten.
Trotzdem erkennt Dieter Uh vom Solaranlagenbauer Atlantis in Kreuzberg: „Die Produktionskette ist nicht geschlossen. Viele Teile kommen von außerhalb.“ Am augenfälligsten ist der Mangel bei den Photovoltaikzellen zur Stromherstellung. Während in Berlin und Brandenburg Dunkel herrscht, findet die Produktion in Süddeutschland, bald auch in Thüringen und im Harz, vor allem aber im Ausland statt. „In der Stadt fehlen die Reizthemen und die stabile Nachfrage“, so Dieter Uh.
Während Berlin beim Recycling teilweise machtlos ist – Elektronik- und Schrott-Verordnungen sind Bundessache – ließe sich die Solarwirtschaft durchaus mittels landespolitisch organisierter Nachfrage nach vorne bringen. Doch die entsprechenden Vorstöße des Parlaments und des Umweltsenators scheiterten bislang an wirtschaftlichen Interessen. Die Solaranlagenverordnung, die Kollektoren zur Warmwasserherstellung bei Neubauten vorschreibt, wird von den Wohnungsbauunternehmen abgelehnt. Und den anderenorts schon durchgesetzten höheren Abnahmepreis für Solarstrom aus privaten Anlagen – diese würden damit kostendeckend und attraktiv – torpediert die Bewag. Denn die dezentrale Versorgung mit sauberer Energie könnte langfristig eine bedrohliche Konkurrenz für die zentralen Kraftwerke des Strommonopolisten darstellen.
Durch die Förderung der Sonnenenergie entstünde ein Markt, der auch eine Auffächerung der Produktionspalette, Firmengründungen und neue Arbeitsplätze ermöglichen würde. „Ein ganz kleines Beispiel“ nennt Atlantis-Mitarbeiter Uh: „Heute gibt es noch kein Anzeigegerät, das den Ausfall der Photovoltaikanlage auf dem Hausdach registriert.“ Tagelang bemerken die SolarfreundInnen also nicht, daß ihr Strom aus dem konventionellen Netz kommt. Dieses und andere Produkte würden entwickelt, wenn eine konsequente Politik für die Sonnenenergie betrieben würde. „Denn die Nachfrage im Umweltbereich muß im wesentlichen der Staat organisieren,“ weiß Ulrich Petschow vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung. Angesichts des freien Spiels der Marktkräfte bedeuten Umweltinvestitionen oft Kostenbelastungen, die vermieden werden. Erst Gesetze machen sie notwendig und möglich.
Ähnlich in der Verkehrspolitik: Berlin und seiner Umgebung droht die Entwicklung, die westdeutschen Ballungsräume bei der Autodichte im Vergleich zur EinwohnerInnenzahl einzuholen. Selbst Siemens-Manager Wolfram Martinsen, verantwortlich für die Verkehrstechnik des Konzerns, meint: „Wer mit dem Auto in die Stadt hineinfahren will, soll Gebühren zahlen.“ Straßenbenutzungsgebühren können den öffentlichen Verkehr fördern und dort Arbeitsplätze schaffen. Private Firmen stehen außerdem bereit, um die Abrechnungssysteme und die Software zu liefern. Doch die Kapazitäten, die zum Beispiel beim „Wissenschafts- und Wirtschaftspark Adlershof“ vorhanden sind, liegen wegen der fehlenden Nachfrage brach.
Die schwache Nachfrage nach innovativen, umweltfreundlichen Produkten und Lösungen läßt sich nur zum Teil durch massive staatliche Förderung ausgleichen. Auch Hunderte von Millionen Mark helfen nicht, wenn Markt und Preis ganze Branchen zum Schattendasein verdammen. So mußte Lothar Stock von der Umweltverwaltung bei einer Veranstaltung der Bündnisgrünen unlängst feststellen: „Es fehlt eine Gesamtstrategie: Wo wollen wir hin in der Umweltwirtschaft?“
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