:
Campino und der Karneval: Kiffing to be clever ■ Von Wiglaf Droste
Draußen unterm Fenster fährt ein Lieferwagen vorbei. Er ist beschriftet. In gelben Buchstaben auf grünem Grund steht „Deutsche Schreberjugend“, und durch die geschlossenen Fenster noch ist brüllend laut die freiwillige Insassenbeschallung zu hören: „Zehn kleine Jägermeister“ von den Toten Hosen. Ist es nicht erschütternd, wie alles stets gesetzmäßig bei sich selbst ankommt?
Aber war da nicht einmal etwas gewesen? So ein gewisser rührend- ernsthafter Charme, wie er entsteht, wenn Jungmänner sich hinstellen und beschließen: So, wir sind jetzt hart drauf und wütend, obwohl sie das in Wirklichkeit ja überhaupt nicht sind, sondern linkisch und ungeschickt, jung und klumsig, ziemlich süß eben?
Doch, das gab es mal, vor hundert Jahren. Weil aber Campino und seine Mitmacher außer große Fresse und Hau-auf-die-Eins-Musik nichts gelernt hatten, mußten sie immer, immer so weitermachen. Campino wurde vom Jugendlichen zum Jugendlichendarsteller; ältere Fernsehredakteurinnen und -redakteure gerieten über seine Faxen regelmäßig aus dem Häuschen, Jugendliche dagegen wandten sich – zunächst göbelnd, später gleichgültig – von dem würdelosen Schaustück ab. Statt dessen entdeckten Bundeswehrsoldaten und andere Benachteiligte, daß die Musik der Toten Hosen genauso war wie das Volks- und Marschmusikzeug, das ihre Eltern immerzu hörten, nur eben lauter und schneller. Das hielten sie für cool oder für Punk. Da hatten sie sich aber so was von geschnitten.
Campino sprach währendessen in Damenzeitschriften über lange Spaziergänge am Strand und andere Indizien einer zarten Seele, die er in sich entdeckt haben wollte. Auch das Meditieren im Kloster schien dem schlichten Mann jetzt schön, denn was ein richtiger Bürgerschreck sein will, darf es sich mit niemandem verderben. Und die kluge und charmante Gisela Güzel fragte, das Kapitel Tote Hosen quasi zuklappend, rein rhetorisch: „Dümmer als die Hosen – geht das überhaupt?“
Doch wie es so ist im Betrieb: Einer findet sich immer, dem das Begreifen nicht gegeben ist. Jörg Burger, ein Jungstrizzi vom Zeit Magazin, fragte Campino ganz ernsthaft: „Sie haben so viele Talente. Warum werden Sie nicht Politiker?“ Campino, so handaufsherzig stulle, wie nur er es kann, salbte sich selbst und antwortete: „Ich bin doch schon in der Politik, Abteilung Unbestechliche. In Talkshows trete ich den Mächtigen in die Hacken. Bei den Grünen könnte ich mir vorstellen, Abgeordneter zu sein. Aber fragen Sie mich in 15 Jahren noch mal“, und als „Rat an die Jugend“ hatte er dieselbe knülle Gülle parat wie die Puhdys: „Du darfst dich nie verbiegen“ (Zeit Magazin, 22.11. 1996).
Woher kommt das nur, daß einer, der zugegebenermaßen nie der Hellste war, so ganz und gar abschmiert? Vom vielen Dunkelbier? Vom Düsseldorfer Karneval, bei dem mitzuschunkeln Campinos ganzer Stolz ist? Vom Zusammenhocken mit Mike Krüger und Rudi Carrell bei TV-Späßen wie „Sieben Tage, sieben Köpfe“? Das allein kann es nicht sein – Auskunft gibt das Titelblatt des aktuellen Musikexpress, das von Campino geziert wird: Der Gefärbte trägt eine Weihnachtsmannmütze und posiert – o rebellische Geste der 90er Jahre! – mit einem Joint, als wolle er uns sagen: Kiffen macht clever, siehe Campino.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen