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Den ganzen Tag „Tagesschau“

■ 3sat, arte und die Dritten auf Abruf. Vom nächsten Jahr an wollen ARD und ZDF zusätzlich 13 digitale Kanäle anbieten

Die ARD will auf der Berliner Funkausstellung Ende August 1997 mit einem eigenen Empfangsgerät digitales Fernsehen anbieten. Ziel sei es, möglichst schnell einen möglichst billigen Decoder zu entwickeln, sagte der Vorsitzende der technischen Kommission der ARD, Herbert Tillmann, anläßlich eines Hintergrundgesprächs mit Vertretern der Industrie.

Die wußten Tillmanns Euphorie allerdings zu bremsen: „Wenn es sich nicht rechnet, machen wir es nicht“, sagte ein britischer Manager der Firma Pace und sprach damit den meisten angereisten Herstellern von Empfangsgeräten aus der Seele. Tatsächlich wollte von den 200 Mark für den „Volksdecoder“, die der ARD-Vorsitzende Albert Scharf in Aussicht gestellt hatte (taz vom 26. 11.), niemand mehr etwas wissen. Leo Kirchs „d-box“ kostet immerhin 890 Mark, obwohl der hart kalkulierende Filmhändler die Endgeräte für sein digitales Programmpaket DF1 ordentlich subventioniert. So hofft die Industrie denn auch auf Millionen deutscher ARD-Zapper, damit sechsstellige Stückzahlen für einen raschen Preisverfall sorgen. Die Chance dazu besteht: Als erster deutscher Programmveranstalter stellt die ARD ein Konzept für Digital-TV vor, das nicht mit zusätzlichen Kosten für die Zuschauer verbunden ist. „Digital-TV heißt nicht automatisch Pay-TV“, so Tillmann, nur weil die Übertragungstechnik von analog auf digital umgestellt werde. Teuer wird Digital-TV erst durch die angebotenen Programmknüller: Fußball-Bundesliga etwa oder die aktuellen Hollywood-Hits. Ob die nun angekündigten, drei neuen Pakete „ARD-MuxX“, „Extra“ und „Festival“ ohne solche Highlights mithalten können, wird sich wohl erst im Freilandversuch nach der Internationalen Funkausstellung 1997 zeigen.

Nicht zuletzt durch den späteren Ladenschluß und die veränderten Sehgewohnheiten könnte etwa die Ausstrahlung von ARD-Evergreens wie „Tagesschau“ oder „Tatort“ in kurzen Zeitintervallen zum Renner werden. Im Gegensatz zu Leo Kirch will die ARD obendrein auf einen Kopierschutz verzichten, der die Aufzeichnung auf einen Videorekorder unmöglich machen kann. Zudem soll der aufgerüstete Decoder auch Konkurrenzangebote wie DF 1 empfangen können.

Die Möglichkeit, das gesamte öffentlich-rechtliche Programm nach speziellen Fernseh- und Hörfunkbeiträgen, Videotext und Online-Angeboten durchforsten zu können, dürfte durchaus Zuspruch finden. (So soll es z. B. möglich sein, zu einzelnen Nachrichten der „Tagesschau“ Hintergrundinfos abzufragen.) Aktuelle Quotenanalysen aus den USA zeigen, daß vor allem die jungen und gebildeten Nutzer mit dem reinen Unterhaltungsmedium Fernsehen nicht mehr zufrieden sind und während des Hauptabendprogramms scharenweise zu den interaktiven Online-Diensten abwandern. Doch für solche Funktionen ist das geplante „Low-end-Gerät“ der ARD nicht ausgelegt: Um Internet oder Multimedia-Dienste zu empfangen, müßte der Volksdecoder kostenträchtig aufgerüstet werden. Am Ende kosten die Geräte dann womöglich genausoviel wie Kirchs „d-box“. Michael Stadik

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