: Der Speisezug rollt und rollt
■ Auch nach dem 80. Geburtstag sieht die Mitropa ihre Zukunft vor allem auf der Schiene – mit europaweiter Kundschaft
Berlin (taz) – Auch wenn die D- Mark-Ankunft in der DDR aus einem Volk von Bahnfahrern ein Volk von Autofahrern machte, so konnte das einem Unternehmen doch nicht den Garaus bereiten – der Mitropa AG. Das Versorgungsunternehmen für die Reisenden feiert heute seinen achzigsten Geburtstag. Was auch heißt, daß über die Hälfte der Mitropa-Geschichte in der DDR geschrieben wurde. Eine nicht immer ruhmreiche, wie viele Ostdeutsche sich noch gut erinnern. Der Begriff Mitropa war so etwas wie ein Synonym für den Alltag des Sozialismus: Behäbiger Service bei meist schlechtem Angebot. „Das einzige, was klappt, sind die Türen“, war nicht immer nur üble Nachrede. Um so erstaunlicher, daß ausgerechnet der Name Mitropa die Wende überstand.
Der Grund ist so einleuchtend wie eigenartig. Nachdem sich 1990 die DDR-Mitropa und ihr westdeutsches Pendant Deutsche Schlafwagen Gesellschaft (DSG) wiedervereinigt hatten, wurde ein gemeinsamer Firmenname gesucht. Bei einer gesamtdeutschen Umfrage kam nicht nur heraus, daß die wesentlich bekanntere Marke die Mitropa ist. Sie gewann – überraschend für die Westmanager, nicht so überraschend für die Westkunden – auch in der Kategorie Kundenfreundlichkeit. Die 1916 gewählte Bezeichnung „Mitteleuropäische Schlaf- und Speisewagen-Aktiengesellschaft“ wurde beibehalten, die nach 1945 jahrzehntelang währende Firmenspaltung endgültig aufgehoben.
Daß die Mitropa in der DDR sogar als Aktiengesellschaft weiterexistiert hatte, bewahrte sie nicht vor stetigem Verlust, aber 1990 immerhin vor dem Schicksal des Treuhand-Zugriffs. Trotzdem blieben von den zur Wende 15.000 DDR-Beschäftigten nach dem Zusammenschluß mit der DSG gesamtdeutsch nur 6.600 übrig. Sie erwirtschafteten 1995 einen Umsatz von 810 Millionen Mark, 1996 werden es zehn Millionen weniger sein, was noch für einen kleinen Gewinn reicht. Den meisten Umsatz macht Mitropa im Kerngeschäft Service im Zug, gefolgt von Gastronomie und Handel im Bahnhof, auf Ostsee-Fährschiffen und an Autobahnen und Fernstraßen. Dort ist sie zwar bisher nur in den neuen Ländern vertreten, aber auch im Westen werden fortan Raststsätten gepachtet.
„Trotzdem bleibt Schienen-Catering unser Hauptgeschäft“, sagt Mitropa-Sprecherin Birgit Pörner, „darin haben wir 80 Jahre Erfahrung.“ Doch der Wettbewerb werde härter, so Pörner. Obwohl eine hundertprozentige Tochter der Bahn AG, genieße man bei deren Ausschreibungen keine Bevorzugung. Andererseits bewirbt sich die Mitropa verstärkt bei europäischen Bahnen, wie der neuen TGV-Linie in Frankreich. Die Eurotunnel-Hotelzugverbindung wurde bereits gewonnen. Anläßlich des Jubiläums will die Mitropa ihre Fahrgäste ab Dezember noch besonders auf den Geschmack bringen. Eine Speisekarte unter dem Motto „Das Beste aus 80 Jahren“ wird legendäre Hauptgerichte bereithalten. Für die Zufriedenheit der Kunden werden jährlich über eine Million Mark in die Personalschulung für besseren Service investiert, unter anderem in Fremdsprachentraining. Das mindert nebenbei auch die Arbeitsplatzsorgen. Während nämlich in der Berliner Hauptverwaltung Stellen abgebaut werden, kommen draußen vor Ort neue dazu. Gunnar Leue
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