piwik no script img

Zwischen Sund und Schären

Wer als Passagier auf einem Containerschiff bucht, genießt das Reisen auf dem Wasser, will keine Küstenstädte konsumieren und braucht kein Wochenendprogramm  ■ Von Angelika Tannhof

Schwer zu erraten, was dem Kapitän durch den Kopf geht, wenn er Ruderwache hat und vier Stunden lang fast unentwegt in diese dunkle Unendlichkeit schaut. Es ist Samstag, kurz nach 22 Uhr. Nur ein mattes Licht brennt über dem Seekartentisch der Brücke. Gleichmäßig brummt der leistungsstarke Motor der „Katharina Ehler“. Kaum größer als ein Fünfmarkstück ist der Drehknopf, mit dem Franz Rogall das 100 Meter lange Containerschiff steuern kann. Jetzt, bei ruhiger Fahrt und gleichbleibendem Kurs, ist der Autopilot zugeschaltet und korrigiert selbst minimale Abweichungen.

Viele hellgrüne Punkte auf dem Radarschirm verraten, wer noch die Weser abwärts fährt. Rot zählt der „Tot-Mann“ zwölf Minuten rückwärts. „Dann muß ich quittieren, sonst gibt das Gerät Alarm, und irgendwann schaltet sich der Motor einfach ab“, erklärt Rogall und schmunzelt über den verdutzten Gesichtsausdruck seiner Zuhörerin.

Minuten später drosselt er die Maschine, und das Schiff gleitet mit nur drei Seemeilen Geschwindigkeit (das entspricht 5,5 Stundenkilometern) in die Brunsbütteler Schleuse – Tor zum 100 Kilometer langen Nord-Ostsee-Kanal, zeitsparende Verbindung zum Fehmarnbelt. In den nächsten sechs Stunden wechseln sich zwei Lotsen am Steuer ab, denn ein Schiff dieser Größe darf den schmalen Kanal nicht ohne sie befahren. Bei Sonnenaufgang verläßt die „Katharina Ehler“ die Kieler Förde und nimmt Kurs auf die Ostsee. In knapp zwei Tagen wird sie ihr erstes Ziel erreichen: Helsinki.

Wer als Passagier auf einem Containerschiff bucht, genießt das Reisen auf dem Wasser, will nicht Küstenstädte konsumieren. Wer auf einem Arbeitsschiff mitfährt, sitzt immer wieder auf der Brücke, lernt Seekarten lesen, hört per Funk das SOS einer Segeljacht und die Anfrage des reparaturbedürftigen Luxusliners. Der spitzt die Ohren, wenn die Kanallotsen Neuigkeiten bringen. 365 Tage im Jahr und rund um die Uhr begleiten sie Schiffe jeder Herkunft. Der staunt, wenn der Koch in unglaublichem Tempo eine ganze Kiste fangfrischer Calamares enthäutet.

Inzwischen hat der erste Steuermann den Kapitän abgelöst. Ist die „Katharina Ehler“ auf See, wechselt die Wache auf der Brücke alle vier Stunden. Seeleute haben einen sehr wechselhaften Lebensrhythmus: Schleusen um Mitternacht, anlegen morgens um 3 Uhr und beladen abends um 9. Im Frühdunst läßt sich durch das Fernglas der Rundbogen der Fehmarnsundbrücke erkennen. Bei zu hohen Windstärken muß sie oft gesperrt werden. Schneeweiße Skandinavien-Fähren kreuzen. In der Kombüse kümmert sich der Koch um das Abendessen. Am Bug streicht ein Deckmann die rostig gewordenen Ankerketten.

Es ist der dritte Tag auf See. Meile um Meile legt das Schiff zurück entlang der schwedischen und russischen Küste. Der Wind hat aufgefrischt. Gischt spritzt am Bug hoch auf das Vorderdeck. Der Hochseesegler steuerbord voraus liegt bedrohlich auf der Seite. Wie hoch die Wellen wohl sein mögen? „1,50 Meter vielleicht, aber das ist doch gar nichts“, meint der Chief und zeigt aufs Meer. „Hier in der Nähe ist die Fähre ,Estonia‘ untergegangen, die zwischen Tallinn und Stockholm pendelte.“ Offene Luken seien ein zu großes Risiko. „Wenn bei dieser Zuladung Wasser eindringt, säuft der Kahn ab.“

Gleich will er durch den Maschinenraum führen und verteilt giftgrüne Ohrenstöpsel aus weicher Kunststoffmasse. Fast einen ganzen Raum nimmt allein der Motor mit der Antriebswelle ein. Hier kann man sich nur in Zeichensprache verständigen und auf Schildern lesen: „Separator“, der das Wasser aus dem breiigen Schweröl filtert, oder „Tankheizung“, ohne die der Brennstoff nicht flüssig genug bliebe – rund 15 Tonnen verbraucht die „Katharina Ehler“ am Tag, 400 Tonnen kann sie „bunkern“.

Neun Stunden später, laut Logbuch exakt um 3.42 Uhr, macht das Containerschiff in Helsinki fest. Um 7 Uhr beginnen die Löscharbeiten – Arbeit für die ganze Mannschaft. Die „Katharina Ehler“ hat Order, gleich wieder auszulaufen, mit Kurs auf das sieben Seestunden entfernte Kotka. Kapitän Rogall verabschiedet sich in seine Kabine: „Morgen früh laufen wir durch die Schären aus.“

Doch es sollte Mittag werden, ehe er Order geben kann: „Leinen los und Bugstrahlruder zuschalten.“ Mit Hilfe des großen Propellers hinten und eines kleineren vorne drückt er den Bug von der Pier weg und wendet das Schiff in Fahrtrichtung. Erfahren und umsichtig steuert wenig später der Lotse die „Katharina Ehler“ durch die felsige Insellandschaft. Glattgeschliffene Felsen mit dunkelgrünen Nadelhainen und Holzhäusern – Stuben genannt.

Nach zwei Stunden hat das Containerschiff das offene Meer erreicht. Bei Öhrengrund, der Lotsenstation, begleitet der Steuermann Lutz zu seinem feuerroten „Wassertaxi“ – dem Lotsenversetzer. Die „Katharina Ehler“ tritt die Rückreise an – durch den finnischen Meerbusen auf die Ostsee, durch den Fehmarnbelt bis nach Kiel und weiter über Elbe und Weser. „Diesmal erleben Sie den Nord-Ostsee-Kanal bei Tageslicht“, freut sich der Chief und versucht sich als „Kanalführer“.

Rund 7.000 Mark kostet jede Durchfahrt mit zwei Schleusenvorgängen. Siebeneinhalb Tage sind wie im Flug vergangen und 1.400 Seemeilen zurückgelegt. Es ist Freitag, kurz vor Mitternacht, als die „Katharina Ehler“ wieder am Bremerhavener Stromkaje festmacht.

Eine Woche auf Nordeuropas Wasserwegen, eine Woche unter Seeleuten. „Ich würde wieder zur See fahren“, versichert der Kapitän, schaltet das Steuerpult ab und verschließt die Türen zur Brücke. Es ist wohl vor allem diese nasse Weite, die er nicht müde wird zu sehen und zu befahren – aber auch das eigenwillige Leben auf See mit viel Distanz zum Land.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen