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Wer aufmuckt, fliegt

■ In Usbekistan wird Oppositionellen das Dach über dem Kopf abgerissen

Berlin (taz) – „Sehen Sie sich Abid Khan jetzt an, vielleicht sehen Sie ihn nie wieder“, wandte sich auf einer Menschenrechtskonferenz in Taschkent ein Sprecher an die anwesenden OSZE-Delegierten und wies auf den bekanntesten noch auf freiem Fuß befindlichen unabhängigen Geistlichen des Landes. „Morgen schon kann er im Gefängnis sein.“ Das war im September. Erstmals seit Jahren hatte es die usbekische Regierung Vertretern der islamischen und säkularen Inlands- und Exilopposition erlaubt, öffentlich aufzutreten. Eine Rede auf der von der OSZE mitgesponserten Konferenz wurde jetzt dem Vorsitzenden der Partei Adolat (Gerechtigkeit), Schukrullah Mirsaidow, zum Verhängnis. Der ehemalige Vizepräsident Usbekistans hatte das „langsame Tempo der Veränderungen“ in dem mittelasiatischen Land und das Fehlen jeglicher Meinungsfreiheit kritisiert. Mirsaidow, seitdem Lieblingsdissident des Präsidenten Islam Karimow, wurde am Wochenende von „Sicherheitskräften“ aus seinem Haus in Taschkent geschmissen – mitsamt 20 Familienmitgliedern.

Häuserräumungen sind in Usbekistan ein beliebtes Mittel, politische Gegner mürbe zu machen. Das mußte auch der anfangs erwähnte Abid Khan Nazarow erfahren. Als er dagegen protestierte, daß die Regierung ihn als Imam einer der zentralen Moscheen der Hauptstadt abgesetzt hatte, rissen die Behörden sein Haus in der Altstadt von Taschkent ab – wegen „planmäßiger Rekonstruktion“. Ihm wurde eine Neubauwohnung am anderen Ende der Millionenstadt zugewiesen, fern seiner Gemeinde und in einer hauptsächlich russischen Nachbarschaft.

Noch schlimmer erging es Abduwali Mirzojew, einem Imam aus dem Ferghana-Tal. Der für seine Kritik am Regime bekannte Geistliche verschwand Mitte 1995 auf dem Flughafen von Taschkent, als er gerade nach Moskau zu einer religiösen Konferenz fliegen wollte. Die Behörden bestreiten, irgend etwas über seinen Verbleib zu wissen. Das taten sie auch im Fall von Abdullah Utajew, der noch in der Sowjetunion den usbekischen Ableger der Partei der islamischen Wiedergeburt gegründet hatte. Er war 1993 spurlos „verschwunden“ – bis ihn jemand im Keller des örtlichen KGB-Nachfolgers in Taschkent wiedererkannte.

Das Vorgehen gegen Mirsaidow zeigt, daß die von der Regierung als „Zeichen der Öffnung“ deklarierte Menschenrechtskonferenz wie die vorherige Freilassung einiger politischer Häftlinge nur ein Propagandacoup war, gerichtet an Investoren vor allem aus den USA. Jetzt sind nur die Verfolgungsmethoden subtiler geworden. Für viele Oppositionelle war die Konferenz ein Test, ob die Reden des Präsidenten über mehr Demokratie ehrlich gemeint waren. Der ist jetzt bei der Prüfung durchgefallen. Thomas Ruttig

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