: Fragen Sie Frau Carola Von Carola Rönneburg
Wer wie ich im Nebenberuf als Kummerkastentante tätig ist, wird tagtäglich mit den Sorgen der Menschheit konfrontiert. Meistens, das bezeugen Dankschreiben aus aller Welt, fällt es mir leicht, Hilfestellung zu geben. „Als Vorruheständler langweile ich mich entsetzlich“, beklagte sich etwa Herr F. aus H. bei mir. „Lieber Herr F.“, antwortete ich, „Sie fühlen sich unterfordert. Mein Rat: Probieren Sie etwas Neues. Fangen Sie das Zigarrerauchen an und gehen Sie einmal mit glimmender Corona in einen Naturkostladen. Ignorieren Sie alle Aufforderungen, das Geschäft zu verlassen, indem Sie Schwerhörigkeit vortäuschen. Von diesem Erlebnis werden Sie wochenlang zehren.“
Herr F., das weiß ich inzwischen aus seinem Dankschreiben, ist meinem Vorschlag gefolgt und seither ein glücklicher Mensch. Genauso Frau M. aus D., die in ihrem Betrieb die hundertprozentige Lohnfortzahlung im Krankheitsfall durchsetzen konnte, nachdem sie an drei aufeinanderfolgenden Tagen mit ihrem prächtigen Schnupfen die Chefpost sorgfältig zu einem klebrigen Block zusammengeschweißt hatte. Besonders wirksam waren in diesem Zusamenhang Frau M.s unaufhörliche Beteuerungen, nicht „zu denen“ zu gehören, „die sich bei jeder Kleinigkeit ins Bett legen“.
Hauptsächlich aber ist der Kummerkasten mit Fragen zu zwischenmenschlichen Problemen gefüllt. Die 14jährige Natascha wußte nicht mehr weiter: „Liebe Frau Carola! In meiner Schule ist ein Typ, den ich total süß finde. Ich glaube, er mag mich auch. Wir sitzen immer nebeneinander, wenn wir mit der Clique in die Disko gehen. Wie mache ich ihm klar, daß ich mehr von ihm will?“
Ach ja, die Liebe, das Begehren... „Liebe Natscha“, schrieb ich zurück, „Du wirst wohl nicht darum herumkommen, Initiative zu zeigen. Ich gebe zu: Du könntest abgewiesen werden, oder, schlimmer noch, Erfolg haben und feststellen, daß der Junge aus den Ohren riecht. Mein Rat: Sag ihm etwas Nettes, damit er Dein Interesse an ihm bemerkt. Außerdem kannst auch Du den ersten Schritt tun und zum Beispiel mal vorsichtig seine Hand berühren. Viel Erfolg!“ Wie ich Monate später erfuhr, ging die Sache nicht gut aus. Der Junge wollte nichts von Natascha. „Pech gehabt“, teilte sie mir mit. „Aber bei Peter hat es geklappt (Foto anbei).“ Na also!
Leider folgt nicht jeder meinen Empfehlungen. Dies bezeugen Reueschreiben aus aller Welt. So konsultierte mich jüngst Herr B. aus B. Sein Anliegen war ein klarer Natascha-Fall: Er hatte Gefallen an einem Mädchen aus seiner Clique gefunden. Aus bestimmten Gründen erhielt er jedoch eine ganz andere Antwort von mir: „Lieber Herr B.“, warnte ich ihn, „Sie sind Mitglied der Bündnisgrünen und noch dazu Kandidat für ein Amt. Machen Sie also um Gottes Willen keine Komplimente! Sagen Sie bloß nicht ,Du hast schöne Augen‘ oder ähnliches verfängliches Zeug! Das ist sexuelle Belästigung! Und vor allem: Finger weg von den Händen des Mädchens! Nichts anfassen! Mein Rat: Lassen Sie ein Taschentuch fallen. Wenn das Mädchen es aufhebt, gut. Wenn nicht: Geben Sie's auf.
Herr B. hörte nicht auf mich. Er kam um Amt und Würden und alle Chancen bei den Mädchen seiner Clique. Mein Rat: Wechseln Sie die Partei.
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