piwik no script img

Große Worte und wenig Konsens

■ Die OSZE einigt sich in letzter Minute – dennoch bleibt die europäische Sicherheitsstruktur äußerst vage

Lissabon (taz) – Mit der nach wie vor sehr vagen Beschreibung einer künftigen Europäischen Sicherheitsarchitektur ist gestern der Gipfel der „Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ (OSZE) zu Ende gegangen. Der Entwurf einer allgemeinen Abschlußerklärung des Gipfels konnte wegen des Streits zwischen Armenien und Aserbaidschan über Nagorny-Karabach trotz über zwölfstündiger Verhandlungen schließlich nicht im Konsens, sondern nur mit Zusatzerklärungen Armeniens und des amtierenden OSZE-Vorsitzenden Flavio Cotti aus der Schweiz verabschiedet werden. In der OSZE gilt noch aus den Zeiten ihrer Gründung 1975 als „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ während des Kalten Krieges das Prinzip der Einstimmigkeit.

Die „Erklärung über ein umfassendes Sicherheitsmodell für das 21. Jahrhundert“ enthält zwölf Grundprinzipien für das Zusammenleben der 54 OSZE-Staaten, die fast alle bereits in der „Charta für ein neues Europa“ des Pariser KSZE-Gipfels vom November 1990 und anderen seitdem verabschiedeten K/OSZE-Dokumenten enthalten sind.

Neu ist vor dem Hintergrund des seitdem entbrannten Streits um die Nato-Ostausweitung in der Lissaboner Erklärung die Festlegung, daß jeder OSZE-Staat die von jedem anderen Staat „zu respektierende freie Bündniswahl“ hat. Außerdem wird bekräftigt, daß es zwischen den zahlreichen mit Fragen der europäischen Sicherheit befaßten Institutionen, also der OSZE, der Europäischen Union, der WEU und der Nato keine „Über- oder Unterordnung“ geben soll. Ziel ist laut Bundesaußenminister Klaus Kinkel (FDP) die Schaffung eines „Netzwerkes sich einander ergänzender Organisationen“. Dieser Begriff wurde allerdings schon 1987 von Kinkels Vorgänger Hans-Dietrich Genscher geprägt, der dieses Netzwerk schon damals existent sah.

Der OSZE wird lediglich eine „zentrale Rolle“ beim Bemühen um einen „gemeinsamen Sicherheitsraum“ zugewiesen. Ursprünglich weitergehende Vorschläge der EU-Staaten, durch Zuschreibung einer „koordinierenden Rolle“ für die OSZE den Wünschen Rußlands nach Aufwertung dieser einzigen gesamteuropäischen Institution zumindest symbolisch entgegenzukommen, waren bereits im Vorfeld des Lissaboner Gipfels von den USA abgelehnt worden. In Lissabon wurde deutlich, daß auch über den Inhalt und die rechtliche Verbindlichkeit der geplanten „Sicherheitscharta“ zur Regelung des „strategischen Verhältnisses“ zwischen Nato und Rußland noch erhebliche Differenzen zwischen Westeuropäern und den Vereinigten Staaten von Amerika bestehen. Vor dem Hintergrund der jüngsten Konflikte und Flüchtlingstragödien im Gebiet der OSZE wird jede Form von „ethnischer Säuberung“ oder Massenvertreibung verurteilt. Die OSZE- Staaten werden angehalten, die Rückkehr von Flüchtlingen und Vertriebenen in Sicherheit und Würde zu gewährleisten und dafür zu sorgen, daß ihre Wiedereingliederung ohne Diskriminierung erfolgt.

Auch der deutsche Vorschlag, die Position eines OSZE-Beauftragten für Medienfreiheit als Beschwerde- und Kontrollinstanz einzurichten, wird in dem Abschlußdokument berücksichtigt. Der Ständige Rat der OSZE soll dazu ein Mandat schaffen, daß spätestens zum Ministerrat 1997 vorliegen soll. Ferner ist ein Expertentreffen zur Verbrechensbekämpfung im Rahmen der Organisation vereinbart.

In bilateralen Gesprächen zwischen Kohl, Frankreichs Präsident Jaques Chirac und US-Vizepräsident Al Gore gab es keine Annäherung im Streit um die künftige Besetzung des Nato-Kommandos Süd in Neapel. Vergeblich versuchte Kohl Gore zu überzeugen, daß die Überlassung des Kommandos an Paris ein notwendiger Preis für die auch von Washington begrüßte baldige Rückkehr Frankreichs in die militärische Struktur der Allianz sei. Andreas Zumach

Kommentar Seite 10

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen