"Milosevic wird nicht mehr gebraucht"

■ Interview mit dem Chefredakteur des verbotenen Belgrader Senders B-92, Veran Matic. Das unabhängige Radio strahlt seine Sendungen jetzt über die Voice of America und Radio Free Europe aus und ist im I

Am Dienstag mittag wurde dem unabhängigen Belgrader Radiosender B-92 die Sendefrequenz entzogen und die Sendeanlagen vom Stromnetz abgeschnitten. Das Stadtradio hatte seit Beginn der Protestwelle umfassend über die Demonstrationen auf Belgrads Straßen berichtet. Seit vergangener Woche war B-92 immer wieder durch staatliche Störsender überdeckt worden, das Sendesignal nur in wenigen Stadtvierteln Belgrads klar zu empfangen.

taz: Was macht ein Radioredakteur ohne Radiostation?

Veran Matić: Er produziert weiter und setzt darauf, daß irgendwann der Strom durch die Sendeanlagen wieder fließt. Unsere Tonstudios und Redaktionsräume wurden uns noch nicht weggenommen. Nun werden nachts über die Mittelwellenfrequenzen der Voice of America (792 kHz) und über das Radio Freies Europa (1593 kHZ) unsere Nachrichtensendungen übernommen. Ich hoffe, es wird dabei keine technischen Probleme geben, und man wird uns demnächst sogar überall im ehemaligen Jugoslawien hören können. Wer einen Computer besitzt, kann sich bereits über unsere Webseite im Internet einloggen, dort findet er die neuesten Nachrichten zur Protestbewegung in Serbien (http:/ www.Siicom.Com/odrazb/).

Reicht diese Unterstützung aus, um weiter durchzuhalten?

Wir hätten uns schon früher jene internationale Unterstützung gewünscht, die wir erst seit ein paar Tagen erfahren. Es dauerte lange, bis es in die internationalen Redaktionsstuben drang, was sich in Belgrad zusammenbraut. Das ist mit Prag 89 zu vergleichen. Die Menschen lassen sich diese Diktatur nicht länger gefallen, Studenten und Arbeiter begehren auf.

Bisher sind es doch eher Studenten, die täglich durch die Straßen Belgrads ziehen, die Arbeiter haben es doch abgelehnt, in den Generalstreik zu treten, sie vertrauen den nationalistischen Führern der Protestbewegung, Zoran Djindjić oder Vuk Drašković, noch nicht.

Das war vielleicht nicht so geschickt von Djindjić und Drašković, gleich nach dem Generalstreik zu rufen. Natürlich sind die Arbeiter noch zurückhaltend, sie haben Angst, ihre Unzufriedenheit öffentlich zu zeigen. Aber täglich stoßen immer mehr Arbeiter zu den Studenten. Im bin zuversichtlich, es wird eine Volksbewegung, es kommt zum Aufruhr, ...

... der dann gewaltsam niedergeschlagen wird?

Natürlich versucht das Regime, die friedlichen Demonstranten zu provozieren, aber das wird nicht gelingen. Wir lassen uns nicht provozieren, der Protest geht weiter.

Und wenn es doch ernst wird?

Eine Volksbewegung läßt sich nicht aufhalten, für ein oder zwei Wochen vielleicht, aber dann fängt es wieder an, kommt es wieder zu Demonstrationen. Wir alle wissen, es muß sich etwas ändern, und es wird sich etwas ändern.

Die internationale Presse gibt sich etwas reserviert, traut einem Djindjić und Drašković nicht zu, Serbien aus der Krise zu führen. Im Ausland hat man nicht vergessen, daß sich die wichtigsten Oppositionsführer vom Eroberungskrieg Belgrads gegen Kroatien und Bosnien nie distanzierten.

Das ist doch ein scheinheiliges Argument. Heute geht es in Serbien um eine Wende in Richtung Demokratisierung, in Bosnien und Kroatien herrscht Frieden, keiner möchte ein Aufflammen der Kämpfe. Weshalb soll ein Jahr nach Unterzeichnung des Friedensvertrag von Dayton allein Serbiens Präsident Slobodan Milošević ein Garant für die neue Nachkriegsordnung im ehemaligen Jugoslawien sein? Milošević wird nicht mehr gebraucht, nicht vom Westen, nicht von uns. Interview: Karl Gersuny