piwik no script img

Überwintern bis übernächstes Jahr

■ Mehr Arbeitslose im November. Kommendes Jahr wird der Arbeitsmarkt noch schlechter. Aufwärts geht's erst 1998

Nürnberg (dpa/taz) – Die Arbeitslosigkeit in Deutschland ist im November außergewöhnlich stark gestiegen und steuert jetzt auf einen neuen Negativrekord in diesem Winter zu. „Wir werden die Vier-Millionen-Marke nicht nur ankratzen, sondern deutlich überschreiten“, sagte gestern der Präsident der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit (BA), Bernhard Jagoda. „Konjunktur und Wachstum haben derzeit nicht die Kraft, die ungünstige Entwicklung zu stoppen.“

Im November stieg die Zahl der Erwerbslosen um 75.400 auf 3,942 Millionen. Das war der höchste Zuwachs von Oktober auf November seit 1989. Die Arbeitslosenquote kletterte auf 10,3 Prozent. Da die Erwerbslosenzahl im Verlauf eines Winters noch um einige hunderttausend wächst, wird zu Beginn des nächsten Jahres voraussichtlich ein neuer Nachkriegsrekord erreicht.

Jagoda erklärte, in praktisch allen Branchen würden immer noch massiv Arbeitsplätze abgebaut. Lediglich im Dienstleistungsbereich würden einige neue Stellen – vor allem Teilzeitjobs – geschaffen. Die Zahl der neugemeldeten offenen Stellen sank insgesamt um fünf Prozent auf 250.000.

Die Experten der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit machten gestern klar, daß die Zahl der Arbeitsplätze in Deutschland auch im nächsten Jahr eher abnehmen, allenfalls stagnieren werde. „Wir erwarten eine rote Null“, sagte der stellvertretende Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Hanspeter Leikeb. Das Wirtschaftswachstum wird zur Zeit allein mit immer höherer Produktivität erreicht.

Die Wende zum Besseren erwartet Leikeb erst 1998 und 1999. „Für diese Jahre ist die Ausgangslage günstiger“, sagte er. Denn zu diesem Zeitpunkt müßten die Möglichkeiten des Stellenabbaus in den Betrieben ziemlich erschöpft sein. Dann werde die Konjunktur wieder wesentlich leichter für neue Arbeitsplätze sorgen können. Auch das Essener RWI- Wirtschaftsinstitut rechnet trotz einer erwarteten Konjunkturerholung im nächsten Jahr mit höherer Arbeitslosigkeit.

Der Anstieg der Erwerbslosenzahlen im November sei zu einem Fünftel auf den Rückgang der arbeitsmarktpolitischen Hilfen zurückzuführen, bemängelte gestern die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer. Aus der Berufsberatungsstatistik der BA ging außerdem hervor, daß die Wirtschaft im November noch einmal um 7,2 Prozent weniger Lehrstellen angeboten hat als im Vergleichsmonat des Vorjahres. Für jeden fünften Jugendlichen im Westen und jeden dritten im Osten endet die Lehre derzeit in Arbeitslosigkeit, hieß es beim DGB.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen