: Gesicht gewahrt, am Lohn gespart
■ Erster Tarifabschluß der Metaller in Niedersachsen: Hundert Prozent Fortzahlung, aber der Reallohn sinkt
Hannover (taz/AP) – In der Metallindustrie ist der Durchbruch im Streit um die Lohnfortzahlung gelungen. Als erste große Industriebranche schrieben die Metaller in Niedersachsen nach der gesetzlichen Änderung ein volles Entgelt für Kranke bis zum Jahr 2001 fest. Zuvor geleistete Mehrarbeit wird aber bei der Berechnung der Lohnfortzahlung künftig nicht mehr berücksichtigt. Nach fast 14stündigen Verhandlungen in Hannover schnürten IG Metall und Arbeitgeber gestern ein Paket, das zudem ab 1. April 1997 1,5 Prozent und ein Jahr später 2,5 Prozent mehr Lohn und Gehalt vorsieht.
Für die Sicherung der Lohnfortzahlung hat die niedersächsische IG-Metall-Bezirksleitung somit trotz guter Wachstumsaussichten Reallohneinbußen im kommenden Jahr hingenommen.
Nach dem Kompromiß entfällt die geplante Erhöhung des Weihnachtsgeldes um fünf Prozentpunkte für die rund 90.000 niedersächsischen Beschäftigten der Branche zugunsten eines Zuschusses für Langzeitkranke. Vereinbart wurde für die ersten drei Monate des Jahres 1997 zudem eine Einmalzahlung für Arbeiter und Angestellte. Die gekündigten Regelungen zu Urlaub und Urlaubsgeld wurden wieder in Kraft gesetzt.
Einen generellen Ausgleich von Überstunden in Freizeit konnte die Gewerkschaft jedoch nicht durchsetzen. Die von Klaus Zwickel ursprünglich geforderten „beschäftigungssichernden Maßnahmen“ als Ausgleich für eine moderate Lohnsteigerung wurden somit nicht festgeschrieben.
Die IG Metall gab dem Abschluß „Pilotcharakter“ auch für andere Tarifbezirke. Die Arbeitgeber äußerten sich zurückhaltender. Der Verhandlungsführer der Arbeitgeber in Niedersachsen, Dietrich Kröncke, lobte die „Sozialpartnerschaft“ der Tarifparteien. In der Frankfurter IG-Metall-Zentrale sprach man dagegen bewundernd von den „Panzerknackern“ in der Verhandlungskommission, die den Abschluß durchgeboxt hatten.
Der stellvertretende IG-Metall-Vorsitzende Walter Riester nannte den Abschluß wegweisend für andere Bezirke. Er sagte im Berliner Inforadio: „An dieser Position werden wir auch in anderen Bezirken nichts ändern.“ Sollten sich die übrigen regionalen Arbeitgeber weigern, werde die Gewerkschaft notfalls für die volle Lohnfortzahlung streiken.
Der Spitzenverband Gesamtmetall hingegen schloß lediglich eine Übernahme von „Eckpunkten“ des Pakets in anderen Regionen nicht aus. Die regionalen Arbeitgeberverbände der Metallbranche müßten darüber jedoch noch beraten. Aufgrund der unterschiedlichen Ausgangsbedingungen in den Manteltarifverträgen seien zumindest noch Abweichungen zu erwarten. Gesamtmetall bezifferte die höheren tariflichen Arbeitskosten je Stunde durch den Abschluß auf weniger als ein Prozent. Für die Metallbetriebe in den neuen Bundesländern etwa seien aber keine Kostensteigerungen tragbar.
Der Arbeitgeberverband in Niedersachsen hatte im Sommer als erster seinen Mitgliedern eine Kürzung des Lohnes für Kranke empfohlen. Die Mitgliedsfirmen hatten dies nicht befolgt. üo
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