: Haarspalterei ist kein neuer Vorwurf
■ betr.: „War Jesus Jude oder Femi nist?“ von Erica Fischer, taz vom 15.11. 96; Leserinnenbrief: „Hat da jemand Angst vor Ant worten?“ von Astrid Kuhlmey, taz vom 30.11. 96
Was Frau Kuhlmey als „feministische Rabulistik“ bezeichnet, sind Bruchstücke einer ausführlichen Debatte unter feministischen Theologinnen, die Ende der achtziger Jahre geführt wurde. Ihre Kritik daran, daß die taz die Gelegenheit bot, zumindest einen kleinen Einblick in die Debatte zu gewinnen, wird in der Sache wenig deutlich und erstaunt, gerade für eine Theologiestudentin, die sich selber leidenschaftlich für diese Debatte interessiert und selber an ihr teilgenommen hat, soweit das in den Neunzigern noch möglich war.
Interessant ist vielleicht, daß der Vorwurf der Haarspalterei nicht neu ist, sondern immer wieder gerne von denen vorgetragen wurde, die kein Einsehen haben wollten und nicht einmal besonders interessiert daran waren, wenn ihnen mit guten Gründen latenter oder offener Antisemitismus begründeter vorgeworfen wurde. Richtig ist, daß die Kritikerinnen am latenten Antisemitismus in Teilen der feministisch- theologischen Kritik am Partriarchat fähig sind, Betroffenheit nicht nur zu spüren, sondern auch zu artikulieren, wenn sie durch ihre eigene Beobachtung oder durch die Hinweise von jüdischen Feministinnen bemerken, daß ihre Kritik an der Unterdrückung der Frauen auf dem Rücken von jüdischen Frauen (und jüdischen Feministinnen) geübt wird. In ihrem Kampf gegen die Unterdrückung durch patriarchalische Strukturen wollen sie nicht selber Täterinnen werden. Dies führt aber stimmt nicht dazu, oder sollte nicht dazu führen, daß auf dogmatischste Weise „die Guten“ von „den Schlechten“ getrennt werden (auch das hat diese Debatte erlebt), sondern daß durch genaues Beobachten geübt wird, auf pluralistische Weise gegen Unterdrückung und Benachteiligung zu kämpfen.
Mir erschien die Darstellung von Erica Fischer keineswegs als von „Betroffenheit und Mystik triefend“, im Gegenteil. Ich war erstaunt und erfreut, in der taz endlich mal einen sachlichen Bericht über eine theologische Debatte zu finden, die nicht gleich ins Lächerliche gezogen wurde! Die sachlich korrekte Darstellung eines Ausschnittes aus einer Fachdebatte gelingt in Printmedien selten, und diese Debatte ist keine von „unterwürfiger Kritiklosigkeit“, im Gegenteil. Es ist erstaunlich, mit welcher Energie etwa Christa Mulack an ihren antisemitischen Positionen festhält und sich nicht dafür zu schade ist, das „Gesetz Mose“ zu vergleichen mit dem „Nazisystem“, namentlich „Eichmann“ und „Hoess“, die „nur auf Befehl des Führers gehandelt hatten“, wie durch die angebliche Art der Zehn Gebote als „göttlichem Befehl“, der zur Folge hat, daß man „die Verantwortung für sein Tun nicht selbst übernimmt, sondern auf äußere Gesetze und Befehle abwälzt“ (alle Zitate aus Christa Mulack: „Jesus, die Nazis und die Männer“. In: Publik-Forum, Nr.4, 26.2. 96, S.21). Mulack ist sich also nicht zu schade, öffentlich ihre Darstellung der Dinge zu bieten: Das Judentum selbst hat die Ideologie für die Judenvernichtung hervorgebracht.
Wenn Frauen sich gegen jede Form von Unterdrückung aussprechen, dann ist ein Widerspruch an dieser Stelle ein Muß, und zwar aus Kenntnis der Geschichte und Lust an pluralistischen, egalitären Gesellschaftsformen, nicht aus triefender Betroffenheit, die entsteht, weil es kaum zu glauben ist, mit welchen Argumenten heute manche der Unterdrückung und Benachteiligung der Frauen ein Ende bereiten wollen. Der oder dem Interessierten empfiehlt sich die Lektüre des Readers „Verdrängte Vergangenheit, die uns bedrängt“, der von Leonore Siegele Wenschkewitz herausgegeben wurde. Rebecca Unsöld, Ev. Theologie-
studentin, Frankfurt/Main
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