: Zen und Kartoffelmehlstaub
■ Wo Pfanni war, soll Kunst werden. Im Münchner Kunstpark Ost entsteht eine Symbiose aus Kunst und Gastronomie
Wenn Elfe Brandenburger, Mitglied der Politkunstgruppe Minimal Club, aus dem Fenster ihres Münchner Ateliers sieht, hat sie zum ersten Mal in dieser Stadt das Gefühl, in einer Metropole zu leben. Elfe residiert im obersten Stock über dem Ultraschall II, einem Techno-Club. In den Räumen ihres Ateliers befand sich früher das Labor der Pfanni-Werke. Dort tüftelten einst Chemiker die Formel für „Pfanni Halb & Halb“ aus. Das riesige, etwa 80.000 Quadratmeter umfassende Gelände dient jedoch schon lange nicht mehr der Produktion von Instantgerichten.
Zeitgemäße Nutzung
Gabi Scheffel, Geschäftsführerin der Kunstpark Ost GmbH, spricht von „zeitgemäßer Nutzung“. Gemeinsam mit dem Hallenbetreiber Wolfgang Nöth arbeitet sie an einer Umarbeitung der Industrielandschaft in ein Reich des nächtlichen Vergnügens und der Kunst. Seit September eröffneten hier Klubs, Lokale und Hallen, Flohmarkt, Ateliers und Galerien. Kino und Performancebühne sind geplant. Nun haben also auch die Künstler ihr Séparée in der Topographie Münchens. Und dies nicht etwa in einem Gewerbegebiet der Vorstadt, sondern fast mittendrin, in der Nähe des Münchner Ostbahnhofs. Auf einer Veranstaltung der Berliner Messe „minus 96 – Geld. Stadt. Tausch“ wurden vor einiger Zeit allerlei Fragen der Stadtentwicklung debattiert. Es ging unter anderem um die Verdrängung der Subkultur aus den Städten. Natürlich am Beispiel Berlins. Die Münchner Journalisten Pia Lanzinger und Ralf Hohmann machten mit einem Videobeitrag indes darauf aufmerksam, daß der Kunstpark Ost ein genau gegenläufiges Phänomen darstelle. Die Subkultur drängt von den Rändern aus in die Innenstadt.
Gabi Scheffel und Elfe Brandenburger stammen aus unterschiedlichen Welten. Gabi ist eine smarte Geschäftsfrau. Mit einer etwas aufgesetzten Diktion spricht sie gern über Dinge wie die „unternehmerfeindliche Politik“ der Landeshauptstadt. Die Kunstpark-Vollversammlungen leitet sie wie Arabella Kiesbauer. Elfe Brandenburger macht, wie sie sagt, politische Kunst. Videosachen und Performanceähnliches. Ihre Kunst würde vermutlich durch sämtliche öffentlichen Kunstförderungskategorien fallen. Bei der Einmietung in den Kunstpark Ost gab es in dieser Hinsicht aber kein bürokratisches Hin und Her. Bei Gabi Scheffel weiß sie, „die sagt entweder ja oder nein, und danach brauche ich mich auch für nichts mehr rechtfertigen“. Gabi, die den Eindruck erweckt, als halte sie Politik für etwas Unangenehmes, hat der Aktionskünstlerin, weil sie nichts mit ihrer Kunst verdient, sogar einen äußerst niedrigen Mietpreis gemacht.
Man sieht den Kunstpark Ost gern als Ort visionärer Schwärmereien. „Ausbrechende Energien, brachliegende Bilder, die das Gelände bereithält und ästhetische Räume, die darauf warten, bespielt zu werden“, so beschreibt Ina Lambert, eine Malerin, ihr neues Arbeitsumfeld. Nicht weniger verklärend klingt es, wenn Markus Horn, Geschäftsführer des ansässigen Lokals „Nachtkantine“, über den Kunstpark spricht. „Unterschiedliche Leute sind hier auf relativ engem Raum zusammen, treffen sich mehrmals täglich und kommunizieren miteinander.“ Wünsche und Träume der einzelnen seien hier viel leichter zu realisieren, weil Finanzmittel und Sponsoren einfacher aufgetrieben werden könnten. Das Zauberwort Kommunikation hat freilich einen ganz pragmatischen Hintergrund. „Die meisten der Betreiber kennen sich aus früheren Projekten wie den Großveranstaltungen in den Hallen des alten Flughafens München-Riem“, sagt der Easy- Listening-Spezialist Gert Schneider von der Seicht&Leicht GmbH. „Sie wissen gegenseitig um ihr Know-how, wenn es darum geht, größere Dinge durchzuziehen.“ Einer Infobroschüre ist zu entnehmen, daß sich hinter all dem eine Philosophie verbirgt. Sie besteht aus einem einzigen Satz: „Grundidee des Kunstparks-Ost- Konzeptes ist die Realisierung einer Symbiose von Kunst, Kultur, Gastronomie und Handel.“ Das ist es: Purer Zen – alles ist, was es ist.
Leitsysteme durchs Vergnügen
Rohre ragen aus allen Wänden der Industriearchitektur, an allen Decken ziehen sich Leitungen entlang. Sie sind nun ästhetischer Bestandteil einer neuen Innenarchitektur, andere kriechen aus den Mauern noch ungenutzter Räume, um sich sinnlos zu verknäulen und im Nichts zu enden. Früher waren sie wichtig wegen der enormen Mengen an Kartoffelmehlstaub, die entlüftet werden mußten. Niel (22), Stammgast im Ultraschall, freut sich über die vielen dunklen Ecken. Der Kunstpark ist für ihn zwar das „Kunstghetto Münchens“, aber aus den Scherben und der krassen Schönheit, glaubt er, könne mehr Kunst entstehen als aus purer Sauberkeit. Sich zurechtzufinden bereitet noch Schwierigkeiten. Gabi Scheffel läßt gerade ein neues Leitsystem austüfteln, da die Beschilderung noch nicht funktioniert. „Leitsysteme“ für das nächtliche Vergnügen, das klingt nicht besonders funky. Am Ende landet man doch im Ultraschall, ein bunkerartiger Kelleraum. Morgens um sieben ist hier tatsächlich alles so, wie es ist. Christian Schwenkmaier
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