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„Ich kann meinen Nachfolger doch nicht inthronisieren“

■ Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Johannes Rau über die rot-grüne Koalition in seinem Land und über die Perspektiven der SPD für die Bundestagswahlen 1998

taz: Herr Rau, vor einem Jahr hat Oskar Lafontaine die SPD mit den Worten aufgerüttelt: „Wenn wir selbst begeistert sind, können wir auch andere begeistern.“ Sind Sie begeistert von der SPD?

Johannes Rau: Aber ja doch. Für die Ziele der Sozialdemokratie – Gerechtigkeit, Frieden, Solidarität, auch wenn dieses Wort in letzter Zeit etwas in Mißkredit geraten ist – kann man sich gar nicht genug begeistern und einsetzen. Ich freue mich darüber, daß die SPD in dem hinter uns liegenden Jahr programmatisch ein ganzes Stück weitergekommen ist. Sie hat gute Chancen bei der Bundestagswahl 1998.

Freuen Sie sich denn auch über die Vorstellung, die ihre Partei bei der Oberbürgermeisterwahl in Stuttgart abgeliefert hat? Da hat sie ja dem CDU-Kandidaten zur Macht verholfen.

Das war sicher ein schwieriger Entscheidungsprozeß, den die Baden-Württemberger durchgemacht haben. Ich selber habe zu den Skeptikern gehört.

In Stuttgart gab es die Möglichkeit, einer anderen gesellschaftlichen Mehrheit zur Macht zu verhelfen. Statt diese Chance zu ergreifen, hat sich die SPD nur mit sich selbst beschäftigt und danach entschieden. Das ist doch symptomatisch für die Partei.

Nein, das ist nicht symptomatisch. Politik ist immer ein Abwägen verschiedener Optionen, an dessen Ende eine Entscheidung steht. Ich rate meiner Partei aber auch, sich weniger mit sich selber zu beschäftigen, sich nach außen zu öffnen und auf Interviewkriege zu verzichten.

Die Bündnisgrünen haben immer wieder in vergleichbaren Situationen die SPD-Kandidaten unterstützt. Jetzt vermissen sie seitens der SPD ein klares Bekenntnis zum rot-grünen Bündnis. Verstehen Sie das?

Es geht hier ja nicht um ein Bündnis, sondern um eine Koalition. Ich bin gegen jede Überhöhung, aber ich bin für Verläßlichkeit innerhalb von Koalitionen. Ich bemühe mich ja in Nordrhein- Westfalen darum, diese Verläßlichkeit nicht nur herzustellen, sondern auch darzustellen.

Ihr Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering spricht mit Blick auf die rot-grüne Koalitionsperspektive in Bonn von „einer Option“. Welche Optionen hat die SPD denn noch, wenn sie, wie Lafontaine immer verkündet, den „Machtwechsel“ erreichen will?

Die SPD kann den Machtwechsel nur erreichen, wenn sie selber stärkste politische Kraft wird. Wenn man weiß, daß Koalitionswahlkämpfe immer beiden Partnern schaden, dann muß sich jede Partei darauf konzentrieren, für sich so viele Wählerinnen und Wähler wie möglich zu gewinnen. Sonst kommt es nur zum Stimmentausch innerhalb der potentiellen Koalitionspartner und nicht zum Zuwachs an Stimmen.

Ihr früherer Bundesgeschäftsführer Günter Verheugen hat es 1994 als schweren Fehler der SPD angesehen, keine Koalitionsaussage zugunsten der Bündnisgrünen gemacht zu haben.

Die Frage ist, wann man das tut. Ich glaube, daß ein Wahlparteitag, der den Spitzenkandidaten nominiert, der richtige Zeitpunkt sein kann, zu erklären, wie man sich den Macht- und Politikwechsel vorstellt – und mit wem. Vorher sollte man darüber nicht ständig spekulieren.

Sie selbst haben nach der Landtagswahl hart mit sich gerungen, bevor Sie Ihr Ja zur rot-grünen Koalition in Düsseldorf gegeben haben. Inzwischen gelten Sie bei den Koalitionsbefürwortern in beiden Parteien als der Garant des Bündnisses. Wie gefällt Ihnen diese neue Rolle?

Ich glaube nicht, daß das meine Rolle ist. Ich habe mich angesichts der Wählerentscheidung übrigens nicht lange mit der Frage beschäftigt, welche Koalition es danach geben sollte. Das war für mich klar. Gerungen habe ich nur mit mir über die Frage, ob ich selber diese Regierung führen sollte, nachdem ich 15 Jahre mit absoluter Mehrheit regiert hatte. Diese Entscheidung ist mir sehr schwer gefallen. Heute bin ich froh, daß ich sie so getroffen habe, weil ich glaube, daß ich Vertrauen bei beiden Partnern genieße.

Ihr Wirtschaftsminister und potentieller Nachfolger Wolfgang Clement hat aber vor kurzem gesagt, er empfinde die Zusammenarbeit mit den Grünen als „Strafe Gottes“. Empfinden Sie das auch so?

Wenn Gott straft, dann stärkt er auch immer ...

... nur bei den läßlichen Sünden.

Es ist manchmal schwer. Ich habe selbst am Anfang gesagt, daß da oft unterschiedliche Welten aufeinander treffen. Das strapaziert manchmal die Geduld – auch meine. Die von Wolfgang Clement auch. Aber das gilt natürlich vice versa auch für die andere Seite.

Man kann doch Clement auch so interpretieren, daß für ihn der Zeitpunkt erreicht ist, lieber ein Ende mit Schrecken herbeizuführen als ein Schrecken ohne Ende.

Nein, da überinterpretieren Sie Wolfgang Clement, denn er macht eine hervorragende Arbeit innerhalb der Koalition. Was er tut und wie er die Dinge voranbringt, das ist unerläßlich für den Erfolg der Koalition. Daß er dabei einen besonderen, schwierigen Part hat, will ich überhaupt nicht bestreiten. Aber wie er ihn meistert, das finde ich hervorragend.

Sie hatten bisher schon viel Krach in der Koalition, aber im nächsten Jahr steht ihnen mit dem Braunkohletagebauprojekt Garzweiler II der schwierigste Konflikt erst noch bevor. Wenn die Klagen der Grünen und verschiedener Gemeinden gegen das Projekt im Frühjahr scheitern, müssen Sie einen politischen Kompromiß mit den Grünen finden. Denken Sie darüber schon nach?

Ich habe nie etwas davon gehalten, über hypothetische Fragen zu sprechen. Wir müssen erst einmal die Gerichtsurteile abwarten. Danach sind auf der Basis dieser Urteile politische Diskussionen fällig. Dabei gibt es unterschiedliche Positionen der beiden Koalitionspartner, die sich an unterschiedlichen Prognosen festmachen. Aber das war schon bekannt, als wir die Koalition eingegangen sind. Das müssen wir dann lösen, und das werden wir dann lösen. Ich bin überzeugt davon, wir können das auch.

Ihr Fraktionsvorsitzender Klaus Matthiesen hat gesagt, es gebe bei dieser Frage „keinen Raum mehr für politische Kompromisse irgendwelcher Art“.

Klaus Matthiesen will damit sagen, daß die SPD Garzweiler II zugesagt hat und daß sie bei dieser Zusage bleibt. Da stimme ich ihm ausdrücklich zu. Was dann wie zu realisieren ist, werden wir sehen, wenn wir die Urteile haben.

Sie haben gerade vor ein paar Tagen mit Blick auf die Veröffentlichungen des Präsidenten des Wuppertaler Klimainstituts, Ernst Ulrich von Weizsäcker, dafür plädiert, künftig „Kilowattstunden statt Arbeitsstunden wegzurationalisieren“. Eine ökologische Modernisierung müsse die Strukturen verändern, „nicht Nachsorge, sondern Vorsorge“ betreiben, sagen Sie. Dazu paßt Garzweiler II nach Auffassung des Wuppertaler Instituts überhaupt nicht. Sehen Sie das anders?

Ich bin mir nicht mehr so sicher, ob das so stimmt. Auch Ernst Ulrich von Weizsäcker und seine Freunde werden ja die deutliche Reduzierung im Bereich der Steinkohle zur Kenntnis nehmen müssen. Und sie werden den Schadstoffminderungsplan, der mit dem Bau neuer Kraftwerke verbunden ist, in Rechnung stellen müssen. Dann, glaube ich, kommen auch die Mitarbeiter des Wuppertaler Instituts zu einem weniger skeptischen Urteil.

Bisher ist davon nichts zu erkennen.

Das Wuppertal-Institut ist eine wichtige unabhängige Forschungseinrichtung, die mittlerweile Weltruf genießt. Aber sie ersetzt nicht Politik. Die muß Arbeitsplätze, Umweltschutz und soziale Verantwortung in Einklang bringen.

Wenn die Koalition in Düsseldorf vor der Bundestagswahl scheitert, ist der Machtwechsel in Bonn nicht mehr möglich. Würden Sie diese Aussage unterschreiben?

Der Wechsel ist dann sehr viel schwerer, obwohl Nordrhein- Westfalen kein Feldversuch und auch kein Modell für Bonn ist. Aber was gut ist, strahlt aus, was schlecht ist, schreckt ab.

Abschreckend wirkt auf viele die unklare wirtschaftspolitische Konzeption der SPD, etwa in bezug auf die europäische Währungsunion. Während Lafontaine am Zeitplan festhalten will, plädiert Gerhard Schröder für eine Verschiebung. Sieht eine konsistente Strategie nicht anders aus?

Deshalb muß die SPD hier eine klare Entscheidung treffen. Ich bin der Überzeugung, daß wir zur Währungsunion – zum Einführungsdatum wie zu den Kriterien – ja sagen müssen, weil das die Vorraussetzung dafür ist, daß die notwendige Europäisierung der Wirtschaftspolitik insgesamt gelingt.

BDI-Chef Hans Olaf Henkel kritisiert Lafontaines Wirtschaftspolitik als rückwärtsgerichtet und empfiehlt ihm, es dem britischen Labour-Chef Tony Blair nachzumachen.

Ich glaube, daß eine Fülle von Unternehmern, nicht nur aus dem mittelständischen Bereich, die Sicht des Verbandsvorsitzenden Henkel nicht teilt. Henkel berücksichtigt zuwenig, daß Tony Blair gegenwärtig das aufarbeitet, was die SPD mit dem Godesberger Programm längst auf den Weg gebracht hat. Wir haben in langen Jahren der Regierungspolitik ja gezeigt, daß man keine Politik gegen die Unternehmer macht, wenn man mit Gewerkschaften solidarisch handelt. Tatsächlich ist die wirtschaftspolitische Konzeption von Henkel rückwärtsgewandt und nicht die von Oskar Lafontaine.

Die meisten Verbandsvertreter sprechen wie Henkel. Mit Blick auf die Ablösung der Bonner Koalition dürfte die SPD darauf angewiesen sein, daß sie zumindest in Teilen des Unternehmerlagers Zustimmung gewinnt wie damals unter Karl Schiller. Wie wollen sie das hinkriegen?

Ich glaube, daß man das mit Leuten wie Gerhard Schröder oder Wolfgang Clement durchaus erreichen kann. Ich bin froh darüber, daß Wolfgang Clement gerade im Unternehmerlager soviel Vertrauen genießt.

Auf ihrem Jugendparteitag hat die SPD eine Ausbildungsumlage zur Finanzierung von zusätzlichen Lehrstellen gegen den Willen von Clement und Schröder beschlossen. Das zeigt doch, daß der Einfluß der beiden in der Partei begrenzt ist und die SPD ihren profiliertesten Wirtschaftspolitikern nicht zu folgen gewillt ist.

Das gibt es bei Einzelfragen immer wieder, das war auch bei Karl Schiller nicht anders. Das kann eine Partei durchaus vertragen. Ich habe ja wie Clement und Schröder abgestimmt. Trotzdem sage ich, daß der jetzt beschlossene Antrag es bewußt zuläßt, eine Politik zu verfolgen, die darauf setzt, ohne Umlagefinanzierung ausreichend Ausbildungsplätze zu schaffen. Genau darauf setzen wir in Nordrhein-Westfalen mit unserem Ausbildungskonsens. Und das werden wir fortsetzen.

Sie sind der einzige Sozialdemokrat, der noch länger regiert als Helmut Kohl. Wollen Sie den Bundestagswahlkampf der Sozialdemokraten 1998 noch aus der Rolle des Ministerpräsidenten heraus unterstützen?

Ich will mithelfen, daß die Amtszeit von Kohl 1998 ihre Begrenzung findet.

Über die Frage der Erbfolge Rau sind in den letzten Tagen viele Zitate in Umlauf gebracht worden. Was stimmt davon?

Das gab es 1986 und 1994 auch schon. Das war immer alles anonym. Wir leben nicht in einer Monarchie. Ich kann meinen Nachfolger nicht inthronisieren. Wen ich mir als Nachfolger wünsche, wissen alle.

Weiß der Nachfolger Clement auch schon von Ihnen, wann Sie ihm den Stab am liebsten übergäben?

Wir sind gute Freunde, und wir haben voreinander noch nie etwas verborgen. Interview: Walter Jakobs/Dieter Rulff

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