: In Singapur beginnt heute die erste Ministertagung der Welthandelsorganisation (WTO). Die Konfrontation zwischen dem reichen Norden und den armen Ländern des Südens ist programmiert. Hauptstreitpunkte sind neben der Einführung von Arbeits- und Sozialstandards die weitere Liberalisierung des Handels und die stärkere Marktöffnung für ausländische Investitionen Aus Singapur Andreas Zumach
Armut ist das Kriterium, das den Standort sichert
Markenjeans und -hemden aus den USA, produziert von schlechtbezahlten „Sweatshop“-Arbeitern in Texas oder New York, werden teurer für europäische oder japanische Konsumenten. Teurer auch der Wein aus Kalifornien, dessen Trauben auch heute noch meist von mexikanischen Wanderarbeitern unter sklavenähnlichen Bedingungen gepflückt werden.
So könnte es aussehen, würde die Forderung Wirklichkeit, die vor allem die neue Handelsbeauftragte der US-Regierung, Charlene Barshefsky, auf der ersten Ministertagung der Welthandelsorganisation (WTO) vortragen wird, die heute in Singapur beginnt: Die Arbeits- und Sozialstandards in Erzeugerländern sollen in das Regelwerk der WTO aufgenommen werden als Kriterium für die Gewährung weiterer Handelserleichterungen beziehungsweise die Verhängung von Importrestriktionen. Auf diese Weise, argumentiert Washington, sollen die Abschaffung von Sklaverei, Kinder- und Zwangsarbeit durchgesetzt und die gewerkschaftlichen Organisations- und Verhandlungsfreiheiten verbessert werden.
Die Forderung findet große Unterstützung bei Menschenrechtsorganisationen in Westeuropa und Nordamerika. Und sie klingt gut in den Ohren US-amerikanischer ArbeiterInnen. Denn die erleben die im April 1994 gegründete WTO und die zeitgleich vereinbarten Handelsliberalisierungen zum Abschluß der „Uruguay-Runde“ des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (Gatt) in erster Linie als Bedrohung für ihre eigenen Arbeitsplätze und rufen dementsprechend nach Protektion.
Doch statt neuen WTO-Regeln, die die beliebten 501-Textilien „Made in USA“ auf den Exportmärkten verteuern könnten, geht es der Clinton-Regierung nach Ansicht der meisten Länder des Südens tatsächlich darum, den Boden zu bereiten für eine künftig häufigere Anwendung der nationalen „301“-Gesetze. In dieser Gesetzgebung, die auch zweieinhalb Jahre nach Vereinbarung der multilateralen WTO-Bestimmungen zur Schlichtung von Handelsdisputen uneingeschränkt weitergilt, behalten sich Kongreß und Regierung in Washington das „Recht“ auf Verhängung unilateraler Handelssanktionen vor, wenn das „nationale Interesse“ dieses erfordert.
Vor allem die asiatischen Staaten wittern bereits hinter dem Versuch, das Thema „Arbeits- und Sozialstandards“ auf die WTO- Agenda zu setzen, die Absicht der nördlichen Industriestaaten, ihre Märkte gegen die Konkurrenz aus den „Billiglohnländern“ abzuschotten. Und sie weisen auf die Tatsache hin, das eine stetig wachsende Zahl von Produktionsstätten im Süden ihre Waren im Auftrag für Unternehmen im Norden herstellen, die daher mitverantwortlich für die Lohn- und Arbeitsbedingungen seien.
Unter den Regierungen des Nordens findet Washington bislang nur in Paris und Oslo ausdrückliche Unterstützung. Die Regierungen in Tokio, Bonn, London und in anderen EU-Hauptstädten sind eher zurückhaltend. Die EU- Kommission empfahl letzte Woche daher, das Thema „Arbeits- und Sozialstandards“ im Verantwortungsbereich der „Internationalen Arbeitsorganisation“ (ILO) zu belassen und es in Singapur lediglich unverbindlich und ohne Forderung nach handelsrelevanten Maßnahmen zu diskutieren. Doch selbst dies geht vielen Ländern des Südens zu weit. Der von der Genfer WTO-Zentrale zu einer Rede nach Singapur eingeladene Generaldirektor der ILO, Michel Hansenne, wurde letzte Woche auf Druck von Indien, Malaysia, Ägypten und Pakistan wieder ausgeladen.
Weitgehend geschlossene Nord-Süd-Fronten gibt es bei den Themen Agrar- und Textilhandel sowie Marktöffnung für Investitionen. Die Staaten des Südens werfen der EU, Nordamerika und Japan vor, ihre Verpflichtungen zum Abbau von Agrarsubventionen und zur Öffnung ihrer Märkte für Textilprodukte bislang nicht erfüllt zu haben und fordern Nachbesserungen der entsprechenden Vereinbarungen des Gatt-Abkommens von 1994. Bislang haben Brüssel, Washington und Tokio hierzu keine Bereitschaft erkennen lassen. Doch ohne Kompromisse bei Agrar und Textil dürften die nördlichen Industriestaaten kaum ihrem Ziel eines Multilateralen Investitionsabkommens (MIA) näherkommen, durch das Restriktionen für ausländische Investitionen und für die Verwendung erzielter Profite so weit wie möglich beseitigt werden sollen.
Indien, Malaysia und Pakistan sind Wortführer der Länder, die ein solches Abkommen mit dem Argument ablehnen, es führe zur Zerstörung heimischer Wirtschaftsstrukturen und zur Dominanz nationaler Volkswirtschaften durch multinationale Unternehmen aus Nordamerika, Japan und der EU. Malaysias Premier Mahathir bin Mohamad kritisierte die Liberalisierungsforderungen aus dem Norden mit einem Bild aus dem Sport: „Stellen Sie sich vor, Malaysier spielen Football gegen ein US-Team: 60-Pfund-Männer auf der einen Seite sollen ein Spiel spielen, das sie nicht kennen, gegen 250-Pfünder auf der anderen.“
Zwischen Nord und Süd sowie innerhalb des Nordens umstritten ist die ebenfalls vorrangig von den USA geforderte Liberalisierung des weltweiten Telekommunikationsmarktes. Auf Einladung der USA wollen heute in Singapur 30 Staaten hinter verschlossenen Türen über ein Abkommen zu einer „Globalen Informationsinitiative“ (GII) beraten, die nach US-Vorstellung bis zum 15. Februar unter Dach und Fach sein soll. Ziel sind erhebliche Preis- und Gebührensenkungen sowie die Beseitigung aller Beschränkungen für den Einstieg ausländischer Unternehmen in nationale Telekommunikationsmärkte.
Hiergegen gibt es aber in vielen Ländern des Südens ebenso noch erhebliche Widerstände wie gegen das von Washington und Tokio bereits für die Ministerkonferenz in Singapur angestrebte Abkommen zur Liberalisierung des weltweiten Marktes mit Informationstechnologie. 1995 wurden im Handel mit Computer(-teilen), Halbleitern und Elektronik Waren im Wert von rund 800 Milliarden US-Dollar umgesetzt. Staaten wie Singapur, Malaysia und Südkorea verdanken diesem Markt ihren Wohlstand und wollen ihre jungen Industrien noch möglichst lange vor ausländischer Konkurrenz schützen. Die EU wiederum will aus Furcht vor einer Überschwemmung mit asiatischen Billigprodukten Audio- und Video-Software von einem Liberalisierungsabkommen ausschließen.
Nur eine untergeordnete Rolle dürfte in Singapur das Thema Handel und Umwelt spielen. Ein Papier der EU zur Verstärkung umweltrelevanter Handelskriterien stieß bereits im Vorfeld der Ministerkonferenz sowohl bei Ländern des Südens wie in den USA und Japan auf Ablehnung. Und Umweltorganisationen dürften wegen der von der Regierung Singapurs verhängten Beschränkungen für die Aktivitäten von Nichtregierungsgruppen wenig Chancen haben, dem Thema größere Aufmerksamkeit zu verschaffen (vgl. Beitrag unten).
Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt will am Rande der WTO-Tagung zu einer gütlichen Einigung in einem besonders krassen Fall unfairer Marktpraktiken beitragen. Bei seinen Treffen mit US-amerikanischen Gesprächspartnern will Rexrodt auch über den durch Industriespionage ausgelösten Streit zwischen VW und der Opel-Konzernmutter General Motors sprechen.
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