Ein Turm im Dornröschenschlaf

Gaswerk in Bahrenfeld: Trasch-Künstler sollen Investoren weichen  ■ Von Heike Haarhof

Neben dem Briefkasten für Geschäftsrechnungen und Privatpost der Künstlergruppe „Trasch-Center Altona“ am Eingang zu dem 35 Meter hohen, uralten Kohlespeicher-Turm an der Daimlerstraße prangt noch ein zweiter Kasten: „Kündigungen“ können hier eingeworfen werden. „Denn die sind in letzter Zeit so zahlreich geworden, daß wir den Kasten 'mal vorsorglich angebracht haben“, grinst Giuseppe Gagliano. Dann wird er wieder ernst: „HPV will, daß wir schnellstens aus dem Turm ausziehen.“ HPV steht für Hollmann, Peters, Vogler, die Investoren des ehemaligen Gaswerk-Geländes in Bahrenfeld, auf dem derzeit ein neues Ortszentrum für den Stadtteil mit Veranstaltungsräumen, Ateliers, Büros und Läden entsteht.

Gegen die Kündigung haben die Trasch-Künstler geklagt: Seit 1987 leben und arbeiten sie zu fünft in den oberen Stockwerken des weißen Industriebetonturms. „100 Mark Miete zahlen wir pro Monat, darüber gibt's einen Vertrag“, versichert Musiker Jörg Hansen. Der übrige Gebäudeteil des denkmalgeschützten Klotzes steht seit Jahren leer: Nach der Stillegung des Gaswerks im Jahr 1938 wurde der Kohlespeicher nicht mehr benötigt; später, bis in die 80er Jahre mietete ihn die Futtermittelfirma Ramikal für Labors an. Und dann erwarb die Investorengruppe HPV den Gaswerk-Komplex.

„Wir wußten anfangs gar nicht, daß da Leute im Turm leben“, schildert Geschäftsführer Niels Hollmann sein Entsetzen. Denn für die Verkehrssicherheit des maroden Gebäudes, „die wir nicht mehr garantieren können“, haftet er. Deshalb sollen die Mieter raus. Fluchtwege fehlen; die Bauprüfabteilung beanstandet das Treppenhaus. Doch anstatt die Mängel zu beheben, glaubt Hollmann, „daß das erstens zu teuer und mir zweitens die Hände gebunden sind“: Das Denkmalschutzamt läßt keine baulichen Veränderungen zu; außerdem ist Wohnen im Turm baurechtlich unzulässig. „Eigentlich“, so Hollmann, „kann man darin nur technische Geräte unterbringen“. Den Künstlern Ausweichraum zu stellen, hält er für unrealistisch: „Doch nicht für 100 Mark im Monat“.

Die fünf Trascher setzen derweil auf den Erfolg ihrer Klage: „Plötzlich soll der Turm aus dem jahrelangen Dornröschenschlaf geweckt werden – nicht mit uns.“