: „Das sind verniedlichte Zahlen“
■ Bürgerschaft debattiert morgen die „Kinder- und Jugendkriminalität“ / Umstrittene Statistik des Innensenators
„14jähriger raubte 12jährigen aus“ – für die grüne Jugendpolitikerin Maria Spieker sind diese Wörter „medienwirksame Schlagzeilen“, die das Problem Kinder- und Jugendkriminalität einseitig hochpuschten. Wegzuleugnen aber sei es nicht – das ist nicht nur Maria Spieker klar. Alle Fraktionen wollen das Thema am Mittwoch in der Bürgerschaft öffentlich debattieren. Grundlage ist eine Kriminal-Statistik aus dem Senat.
Innensenator Ralf Borttscheller (CDU) hatte eine gezielte Anfrage der SPD-Fraktion mit umfangreichem Zahlenmaterial aus den Jahren 1990 bis 1995 beantwortet. Seine Statistik belegt, daß die Täter immer jünger werden. Waren im Jahr 1990 genau 5,0 Prozent der Tatverdächtigen Kinder (absolut 887) und 9,7 Prozent Jugendlichen (1.726), sind es 1995 schon 6,3 beziehungsweise 12,3 Prozent( absolut: 1.203 und 2.424).
Positiv dagegen seien rückläufige Tatverdächtigenzahlen bei ausländischen Kindern, Jugendlichen, Heranwachsenden (18 bis 20 Jahre) sowie jungen Erwachsenen (21 bis 25 Jahre). Die Statistik hält noch eine andere Wahrheit parat: Kinder und Jugendliche würden immer mehr Delikte wie Raub, Diebstahl und schwere Körperverletzung begehen.
Bei der Frage nach dem „Warum“ aber hat Borttscheller nur eine lapidare Antwort parat: Die Kriminologie, so heißt es in seiner Antwort, sei „wegen grundsätzlicher theoretischer und methodischer Probleme derzeit nicht in der Lage, die Entstehungsgründe für Kinder- und Jugendkriminalität empirisch gesichert darzustellen“. Es seien aber als Ursachen Jugendarbeitslosigkeit und Armut anzunehmen.
Das Innenressort hantiere mit „verniedlichten Zahlen“, kritisiert die grüne Jugendpolitikerin Spieker diese „zu kurz greifende Antwort“. Die Dunkelziffer sei hoch, und der Präventionsbeauftragte der Bremer Polizei, Michael Steines, gibt ihr recht: „Ein großes Dunkelfeld zeigt die Tat aus Angst nicht an. Vor allem wenn Jugendliche selbst die Opfer sind“, so Steines. Immer öfter griffen Jugendliche sich untereinander an, würden sich gegenseitig „abzocken“.
Die Statistik aus dem Innenressort könne da lediglich „grobe Tendenzen“ aufzeigen – „sonst muß man mit solchen Zahlen ganz vorsichtig sein.“ Schließlich sprechen die Beobachtungen der Polizei eine andere Sprache: Die Verrohung unter den Jugendlichen nehme dramatisch zu und sei „äußerst erschreckend.“ Auf diesen bedrohlichen Trend müsse die ganze Gesellschaft endlich Antworten finden, sagt Steines, „auch wenn das komisch klingt“.
Die Grüne Maria Spieker will am Mittwoch vor allem die „jugendpolitische Frage“ stellen. „Daß es nicht genug Lehrstellen gibt, das greift zu kurz“, meint sie. Was die SPD-Fraktion als Urheber der Anfrage eigentlich diskutieren will, war gestern nicht zu erfahren. Die Sozialpolitikerin Barbara Wulff gab auch nach mehrmaligen Anfragen gegenüber der taz keine Stellungnahme ab. kat
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen