: 95 Prozent Balsam für die Bremer Seele
■ Erst in der „Woche“, jetzt in der „F.A.Z.“: Bremen als Thema in Verlagsbeilagen / „Gas geben, um zu überholen“
„Der SV Werder bietet den Bewohnern eines darbenden Gemeinwesens Balsam mit dem Ball.“ Ein schöner Satz, Balsam für die Seele. Redakteur der „Werder“-Zeitung müßte man sein, mit der Lizenz zum Prägen solcher Fußball-Poesie. Thomas Grziwa ist einer und verbreitet in der Verlagsbeilage der Frankfurter Allgemeinen Zeitung – Thema: Bremen – viel Launiges über die „Bremer Ballkünstler“. Zum Beispiel dieses: „Der SV Werder biegt auch fast verlorene Spiele wieder um.“ Allerhand. Und so geht es weiter. Auf sechs Beilagenseiten wird die Bremen-Lobeshymne gesungen. Deshalb gibt es ja nun mal die Verlagsbeilagen. Damit man sich an einfachen, um so wahreren Gewißheiten erfreuen kann. „Wer überholen will, muß auch Gas geben“ ist so eine. Wirtschaftssenator Hartmut Perschau hat sich zu ihr hinreißen lassen. Die Metapher aus der Kfz-Branche findet sich in einem Artikel über den Ausbau des Bremer Messegeschäfts. Und daß die Bremer immer, „wenn es darauf ankommt, besonders leistungsstark“ sind und „ein Höchstmaß an Erneuerungsbereitschaft, Innovationskraft und Bürgerengagement für ihre Heimat“ zeigen, weiß Henning Scherf auf Seite 1.
Daß es aufwärts geht, ist unverkennbar; schon die Überschriften versprühen soviel Prosperität, daß es ein wenig unanständig wirkt: „Hausaufgaben gemacht – Wie Bremens Haushalt saniert werden kann“ verrät Finanzsenator Ulrich Nölle in einem Artikel, wenngleich er einräumen muß: „Die Sanierung konnte durch exogene Faktoren, die wir nicht zu verantworten haben, im geplanten Tempo noch nicht zum Abschluß gebracht werden.“ Und: „Für 1997 peilen wir eine 300-Millionen-Tilgung an“ – ein Vorhaben, das unter anderem bald die Bremer Kulturszene massiv zu spüren bekommen wird. Trotzdem: Bremen und Bremerhaven sind „eine riesige Schatztruhe“ und „mehr denn je eine Reise wert“, hat Michael Göbel, Geschäftsführer der Bremer Touristik Zentrale, seinen Beitrag betitelt. Space Park, Ocean Park, Großaquarium, interaktives Migration Experience Center mit den „gleichen Architekten und Designern“, die schon fürs Einwanderungsmuseum von Ellis Island gearbeitet haben. Attraktionen, die es allerdings nur auf dem Papier gibt. Macht nix. Dafür sind wir „Hauptstadt des Kaffees“, „Verkehrspolitisch revolutionär“ (Güterverkehrszentrum), „Für Sekunden schwerelos“ (Fallturm) und vieles mehr.
Eine weitere, für teures Geld erstandene PR-Beilage, um Bremens angeschlagenes Image aufzumöbeln, könnte man denken. Weit gefehlt. Die Beilage finanziert die F.A.Z. selbst; die Redaktion sucht sich die AutorInnen und die Themen aus. Weder die Stadt noch die City Initiative (wie im Fall der „Woche“, vgl. taz vom 19.11.) zahlen einen Pfennig. Gezahlt haben nur die Anzeigenkunden. Die Beilage ist Teil einer Serie, in der die Zeitung alle Bundesländer vorstellt; Bremen fehlte noch, sagt der stellvertretende F.A.Z.-Anzeigenleiter Norbert Horz.
Die Stadt könnte der F.A.Z. dankbar sein dafür, soviel redaktionellen Platz zum Gedeih Bremens verbraten zu können. Bloß einer hat die Chance nicht wahrgenommen und Klartext geschrieben: Klaus Pierwoß, Intendant des Bremer Theaters. Sein Beitrag attackiert erst mal den Finanzsenator, der die umstrittene Ausfallbürgschaft von 175.000 Mark für Justus Frantz' „Last Night of the Proms“ genehmigte, um – Pierwoß zitiert Nölle – Bremens Kultur vor einer weiteren Talfahrt zu bewahren. Ein „depraviertes Bewußtsein“ nennt Pierwoß Nölles Haltung. Und klagt des weiteren über das „schleichende Kaputtsparen“, das sein Haus bedroht. Unschönes übers politische Klima in der Stadt benennt Pierwoß da. und läßt die Fassade bröckeln – allerdings erst auf der letzten Seite unten.
Darauf ein Beck's – die Anzeige steht daneben, „Sail away“ in Farbe. Vielleicht fallen dadurch Pierwoß' unbequeme Worte ja nicht so auf, mag wohl der Finanzsenator hoffen. Alexander Musik
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