■ Nachschlag: Yukio Mishimas „Madame de Sade“ als Lehrstück an der Schaubühne
Am letzten Freitag in der Schaubühne: ein ziemlich schwüles Stück des japanischen Schriftstellers Yukio Mishima, der sich 1970 spektakulär selbst entleibte und den wir Bildungsbürger seitdem zur Kultfigur erhoben haben, weil er tat, wovon unsereins nicht zu träumen wagt. Ähnlich ergeht es auch Mishimas französischem Alter ego, dem Marquis de Sade, um den sich das Drama dreht, das vom Brook-Schüler Yoshi Oida inszeniert wurde.
Im Haus der Madame Montreuil verhandeln fünf Frauen über den abwesenden Marquis. Der fehlt nicht nur, weil er aufgrund seiner Ausschweifungen im Gefängnis sitzt, sondern auch, weil sich ohne ihn viel besser über seine Untaten fabulieren läßt. Eingelassen werden die Damen stets von der Haushälterin Charlotte (Doris Ebring-Kahn). Die fromme Baronin de Simiane (Libgart Schwarz) ist meistens schockiert und freiwillig unfreiwillig komisch. Die Gräfin de Saint-Fond (Tina Engel) steht dem Marquis de Sade nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch ziemlich nahe. Das macht sie später reizvoll für de Sades neckisch-naive Schwägerin Anne (Imogen Kogge), die auch dem Charme seiner Peitsche erlegen ist. Die ebenso bigotte wie machtbewußte Madame de Montreuil (Jutta Lampe) ist intensiv damit befaßt, den heißblütigen Schwiegersohn endlich kaltzustellen und vor allem ihre Tochter Renée zur Scheidung von de Sade zu bewegen. Doch die hält zu ihm und verläßt ihn erst, als er nach langen Jahren freigelassen wird. Das Geheimnis zu ergründen, warum die Marquise de Sade sich so verhält, so die Pressemitteilung, habe Mishima zum gleichnamigen Stück bewogen.
Angesichts der Geschwätzigkeit des Stückes ist man versucht, dies für einen Vorwand zu halten. Es wird geredet, erklärt und mit hoch erhobenem Zeigefinger die Moral gegeißelt. Von Geheimnis keine Spur. Und Corinna Kirchhoff, die Marquise de Sade – leidgeprüft und rampenerprobt – spielt, als stamme das Ehepaar de Sade aus einer Strindberg-Inszenierung eines mittleren Stadttheaters.
Das Ambiente war Schaubühnen-gemäß, ästhetisch korrekt und edel. Tomio Mohri hat ein Holzpodest gebaut, einem Sushi-Board nicht unähnlich. Und wie kostbare Zierfische schwebten, trippelten oder wandelten die Darstellerinnen in japanisierenden Roben darauf herum. Das Publikum verteilte sich davor: auf ein Halbrund aus unbequemen Holzbänken, von dem aus man ziemlich gut sah – und war deutlich zufriedener als die Kritikerin. Esther Slevogt
Nächste Vorstellung: 17.12., Schaubühne, Kurfürstendamm 153
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen