: Hypercodiertes Altertum
■ „Nofretete und Echnaton sprechen“ im Völkerkundemuseum
Eine andere Art der Beschäftigung mit dem Ägypten des Altertums als die spektakulär-museale schwebte der Hamburger Regisseurin, Autorin und Schauspielerin Claudia Coobs bei ihrer Performance Nofretete und Echnaton sprechen vor. Eine längst vergangene Epoche sinnlich wieder erfahrbar zu machen, ist erklärtes Ziel ihrer szenischen Gänge durch das Museum für Völkerkunde.
Echnaton hinterließ zahlreiche selbstverfaßte Dokumente, die einen Einblick in das von ihm in Kunst und Kultur revolutionierte Ägypten ermöglichen. Rezitiert wurden diese Texte, ergänzt durch Interpretationen von Rilke oder Thomas Mann, beide engagierte Ägyptologen.
„Uns war es wichtig“, erläuterte Claudia Coobs, die Regie führte und mit Birte Kretschmer gemeinsam den schauspielerischen Teil übernahm, „keine Altägypten-Klischees aufkommen zu lassen.“ So wechselten sich in dem fragmentarischen Rundgang verschiedene Perspektiven ab. Texte aus der Korrespondenz Echnatons entführten in ungewohntem Sprachklang in eine fremdartige Sichtwelt. Blitzschnell wechselnde Innen- und Außensichten antiker Personen, Auseinandersetzungen im geistigen Leben des Altertums wurden jäh unterbrochen von den enervierenden Teatime-Talks semiseniler Ladies, die sich gegenseitig an Ägyptophilie zu übertreffen suchten.
Angeführt von Tablaklängen und Cornelia Ölunds Tanzeinlagen bewegte sich die Gruppe der irritiert Zuschauenden durch die Afrikaausstellung: hin- und hergerissen zwischen Tanz und Schauspieleinlagen, zwischen Extase, bewegter Fröhlickeit und entrückter Abgehobenheit der springenden Schauspielerinnen. Diese sind bald von vorne, bald von hinten, dann wieder aus einer den Blicken verborgenen Stelle des Raumes zu vernehmen und durchtanzen dabei immer wieder aus unvorhersehbaren Richtungen den Pulk, ziehen die Gruppe durch das Museum.
Erzählen, ohne zu erklären, die Tatsache, daß ein Wort in dem Augenblick, in dem es ausgesprochen wird, zu leben beginnt, eine von seiner akustischen Wirkung verschiedene Existenz annimmt, bezeichnet Coobs als die den alten Ägyptern ureigene Weltsicht, die uns heute fremd sei. Ihr Ziel ist es, die Zuschauer mit künstlerischen Mitteln in diese Sicht der Dinge hineinzureißen, Zeitunterschiede aufzuheben, indem sie Ansichten und Empfindungen aus verschiedenen Epochen unkommentiert nebeneinanderstellt.
Ohne solche zusätzlichen Erklärungen aber fühlt man sich nach der Summe schwer entzifferbarer Zeichen ein wenig wie ein intellektueller Grobmotoriker.
Steffen Kugler
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