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Untotenarmeen und geköpfte Orks

Mit „Warhammer“ in die imperiale Schlacht. „Games Workshop“: Eine raffiniert ausbaldowerte Geschäftsidee triumphiert auf dem Spielzeugmarkt mit martialischem Fantasy-Gemetzel  ■ Aus Düsseldorf Bernd Müllender

„Alle Krieger aufstellen!“ Der hibbelige junge Mann im roten Firmenleibchen treibt zur Eile. „In fünf Minuten beginnt die Schlacht.“ Die Spieler bauen die tischgroße Spielfläche mit Hunderten ihrer bunten Plastik- und Zinnfiguren voll: die Inkarnation des Bösen, Tyranidenbiomorphe genannt, gegen die verteidigende Armee der Dark Angels.

Düsseldorf, beste Einkaufslage, „Games Workshop“, 16 Uhr, wie jeden Donnerstag: Man spielt öffentlich das Fantasywürfelspiel „Warhammer 40.000“. Laut Ausgangsszenario haben feindliche Carnifexkrieger und Symbiontenrotten den Planeten Alpha XVIV besetzt und drohen die Basis der imperialen Armee mit ihren gefürchteten Adrenalindrüsen zu attackieren. Der erste Würfel fällt: Angriff, Attacke.

Welcome to Warhammer World! Im Schaufenster drehen sich grell-bunte Monsterfiguren im Spotlight. Die Tür steht immer offen, Musik dröhnt heraus. Neugierige strömen hinein, Kids reichlich und Pärchen im besten Elternalter. Auf dem Spieltisch legen die Invasoren los: „Space Hulk in 20 Zoll Reichweite ausgelöscht ... Blood Drinkers vor ...“ Erregte Debatten um Regeldetails. „Die Legion der Verdammten greift ein ... Verdeckte Attacke mit dem Schnellfeuerwürfel, haha ...“

Es sind ausnahmslos Jungen, die hier inbrünstig fantasyfighten, Anzahl: gut 20, Alter: meist 12 bis 17. Eine Mutter bekommt ihren augenblicklich leuchtaugigen 11jährigen nicht mehr vom Spieltisch weg. „Aber ...“, sagt sie zu einem Firmenmitarbeiter. Nein, balsamt der gut gelernt, „Kriegsspiel im eigentlichen Sinn“ sei das doch nicht. Alles nur Phantasie. Und beim anderen Warhammer-Spiel, dem aus dem Mittelalter, sei alles noch harmloser, da gebe es „auch Elfen und Zwerge und Ritter und meist nur normale Waffen“. Die Mutter nickt. „Ach so.“

In den Spielanleitungen ist von Horden böser Kreaturen zu lesen, von Dämonen des Chaos und von den verdorbenen Untoten. „Alle Echsenmenschen streben gemeinsam nach der Weltherrschaft, um ihr uraltes Geburtsrecht einzufordern.“ Manchmal, heißt es, müsse man „einfach nur einen Ork köpfen“ – was aber als gute Tat gelten muß, schließlich schleudern diese widerlichen Schöpfungen des Schreckens mit ihren Katapulten lebende Mosquitomonster gegen ihre Feinde.

Sohnemann sagt: „Geil! Super!“ Die Tochter: „Ätzend.“ Sie setzt sich mit Mama gegen den jüngeren Bruder durch. Man geht – Infizierung ausgebremst. Vorläufig. Am Spieltisch schwitzen einige schon nasenfällig intensiv: „Nehmt ihr etwa Blockade gegen die Blutwölfe in Anspruch? ...“

Warhammer: Man nehme ein paar bunte Pappebögen und -schablonen, einen Stapel Spiel- und Karteikarten, ein paar Würfel, 80 meist fingerhutgroße Plastikfiguren, eine umfängliche Spielanleitung, stecke alles in einen grellbunt bemalten Karton, schreibe Warhammer drauf und einen Preis: 149 Mark. Damit ziehe man in die große Schlacht um die Herzen der Jugendlichen und erobere den Markt. In England gibt es die Games Workshop (GW) seit 15 Jahren, heute Dependancen in acht weiteren Ländern, darunter seit drei Jahren in Deutschland. Gerade hat im Oberhausener „Centro“ die dritte deutsche Filiale aufgemacht.

Scheinbar vollends absurd: Die Plastikspielfiguren sind immer nackt und grau, nicht einmal ausgestanzt, müssen noch herausgebrochen und zusammengesteckt werden (Kleinfeile 12 Mark extra, Zwergenzange dito). Die Anleitung zum Bemalen liegt bei, Acrylfarben (15 Mark je Dose) und Minipinsel (6 Mark) kosten extra. Genauso wie die vielen Sonderfiguren (20 Mark, 40 Mark). Alternativ darf man sich in die Ladenlokale setzen und die Figuren umsonst anpinseln. Effekt: Als lebendige Schaufensterpuppen lassen die malenden Komparsenkids das Geschäft immer voll wirken.

Doch auch mit der farbigsten Basisausstattung ist noch nicht viel gewonnen. Vor allem keine Schlacht. Ziel eines jeden Warhammerianers ist die eigene Spezialarmee. Der Werbeprospekt prophezeit den Jungkämpfern: „Bald schon wirst du neue Kriegsmaschinerien kommandieren wollen.“ Dazu braucht man neue Spezialfiguren (60 bis 80 Mark) und richtige Kämpfer aus Zinn statt aus Plastik, die bei jedem dagegenkullernden Würfel – wie peinlich – umplumpsen. Mindestens 600 Mark gelten als Grundinvestition, eine besonders schlagkräftige Armee (mit vielen Kampfpunkten) kommt leicht an die 1.000 Mark. Und immer ist da der Wunsch nach Weiterrüstung. Wie im richtigen Leben.

Student Frank (23) gehört an diesem Donnerstag zu den ältesten Aktiven im Games Workshop. Die Preise findet er „äußerst happig“: „Ich frage mich, woher die 14jährigen all das Geld nehmen.“ Mit seinen Warhammer-Kommilitonen habe er zeitweise Figuren nachgebaut. „Schablone machen, gießen, trocknen lassen, fertig, wenn auch nicht ganz so detailgetreu.“ Kosten: „Materialwert 60 Pfennig.“ Seine fachmännische Schätzung: „Gewinnspanne über 2.000 Prozent.“

Trotz tiefgreifender Infizierung weiß Frank: „Alles basiert bei Warhammer auf dem unumstößlichen Prinzip Gut gegen Böse. Diese Schwarzweißmalerei stört mich manchmal schon.“ Frank befehligt im Fantasyleben eine Hochelfenarmee. „Das sind besonders Gute.“ Aber, „auch mit meinen Elfen kann ich Feinde plattmachen“.

Die Guten agieren in einer hemmungslos verklärten Kitschwelt. „Bekämpfe die Feinde der Tugend und der Ordnung!“ schwadronieren etwa die „Vorschriften der Ehre“. In den „Geboten der Ritterlichkeit“ heißt es: „Schütze die Schwachen und kämpfe für die Gerechtigkeit.“ Ganz harmlos das alles. Sagen die Macher – wenn es opportun erscheint. „Gucken Sie donnerstags vorbei, da gibt es richtige Schlachten“ – bekommen die vermeintlich Kampfgeilen am Telefon zu hören. „Na ja, es ist schon Kriegsspielzeug, keine Frage“, hatte GW-Mitarbeiter Gerard vom Kölner Shop zugestanden.

Gerard, Fantasyfreak durch und durch, wie er sagt, ist Kommandant einer Untotenarmee. Er erzählt von durchkämpften Nächten mit Freunden. Alles nur Spiel, sagt er, und mit Gemeinschaftserlebnissen. Nicht anonym am Bildschirm bei Online-Schlachten im Internet und Gemetzeln im Fernsehen.

Eigentlich sollte diese Reportage mit offiziellem Interview- und Fototermin ablaufen. Alles war vereinbart, da meldete sich der „Games Workshop Gebietsleiter Deutschland“: Nein, die Firma gebe „grundsätzlich keine Interviews, denn die Presse schreibt sowieso immer nur Unwahrheiten, meist gewollt und gezielt“. Infos gebe nur „die Zentrale in London“, es sei „professionell“, dort vorbeizufahren. Bedingung sei die Zusicherung, den Text „vor dem Druck gegenzuchecken“. Was hat Games Workshop zu verheimlichen?

Die Preise nicht. Die stehen groß auf jeder Packung. Die Umsätze? Die werden schon erfreulich genug sein. Die raffinierte Masche? Das Wirkmuster der lukrativen Geschäftsidee dämmert allmählich. Alles ist Corporate Identity. Figuren, Ausstattung, Aufmachung. Früher gab es Sparten: Der eine schrieb Fantasyromane – wie etwa Tolkien. Oder drehte Filme, die Kult wurden – wie Star Trek. Oder erfand irgendein Spiel. Warhammer ist die mehrmediale Komplettversion.

Ausgeschlafene Autoren haben einem schlichten Würfelspiel verschachtelte Szenarien aufkomponiert. Den unzähligen Figuren mit viel Wortgeklingel Charaktere angedichtet, Spezialregeln in dicken Druckwerken immer weiter ausgefasert. Und das Ganze gewürzt mit faschistoider Kampfästhetik, mit witzigen wie wirren Phantasienamen – manches an Tolkien angelehnt und die „Orks“ gleich ganz geklaut.

„Die Schwarzen Khaindar stoßen schreckliche Schreie aus, die aufgrund der in ihre Helme eingebauten psychosonischen Verstärker das Nervensystem ihrer Feinde überladen.“ Das muß man sich halt vorstellen, wenn man etwa eine 3 würfelt und seinen Miniaturkrieger bewegen will. Die öffentlichen Spielnachmittage sind das ergänzende Live-Event zum großen vorfabrizierten Märchen.

Hier wird das Virus weitergegeben, neue Begehrlichkeiten zur Aufrüstung geweckt. Eine Mutter ersteht für ihren 14jährigen den Warhammer-Plastikkoffer (30 Mark) und ein Figurentütchen für 20 Mark. Ach, sagt sie, bei ihrem Älteren habe das mit Warhammer auch so plötzlich angefangen, was solle man machen? „Daß meine Kinder mit Waldorfspielzeug ihren Tag verbringen, das habe ich vor 20 Jahren mal geträumt.“ Danach wird ein ahnungsloses Ehepaar beraten. Der Verkäufer rät zur Einstiegsdroge für 149 Mark.

Zisch, bumm, krach – tönt es vom werbenden Demo-Krieg am Spieltisch. Eine große Zahl Tyranidenmonster ist mittlerweile außerhalb des Spielfelds abgelegt. Tot? „Eigentlich ja“, doziert der Dunkelengelkommandant, „aber nicht richtig.“ Man müsse sich vorstellen, so der Games-Workshop- Spielleiter, „der ganze Raum um das Spielfeld ist wie ein großes Raumschiff, aus dem immer neue Tyraniden herauskommen und neue Angriffe starten.“ Cooles Nicken der Kids. Tatsächlich: Die Bösen sind am Zug, und die Toten formieren sich neu. Wieder was gelernt: Außer der speziellen Untotenarmee können auch Nichtuntote untot sein.

Gegen Abend wird der Laden brechend voll. Ein älterer Herr zeigt seinen Einkaufszettel. Ja, eine Packung Todesdragonen, 60 Mark, bitte sehr. Er zahlt, nickt, geht. Der Enkelsohn wird sich freuen. Das Games-Workshoppen ist gut durchorganisiert: Im Fanheft wird das „Wunschzettel-Poster“ empfohlen: „Hast du es satt, daß deine Eltern dir zu Weihnachten immer das Falsche schenken?“ Also, nur ankreuzen, abliefern und die ahnungslosen Alten wissen Bescheid. Welcher Untotengeneral will schon Waldelfen oder die Magierkönigin Ariel?

Nach gut zwei Stunden ein weiterer Angriffsversuch der Tyranidenarmee. Im Grunde ist nichts passiert. Gewürfelt worden ist – abwechselnd. Läppische Nippesminiaturen wurden hin- und hergeschoben, entsprechend der subversiv eingetrichterten Fantasy-Vorgaben. Die Macher nennen es: Phantasie. Der Angriff wird abgewehrt. Der auf dem Spielfeld. Das Gute scheint zu siegen. Wenigstens etwas.

Siehe auch den Beitrag von Klaus Farin auf Seite 22

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