: „Die Schriftsteller haben Einfluß“
■ Im Iran formiert sich erstmals eine Gruppe regimekritischer Intellektueller, sagt Faride Zebardschad. Teheran nennt sie Spione
taz: Ihr Mann ist seit fast sechs Wochen verschwunden. Was wissen Sie über seinen Verbleib?
Faride Zebardschad: Nur, daß ihn der iranische Geheimdienst festhält.
Haben Sie Informationen, wo er steckt?
Nein, keine.
Was soll Helmut Kohl tun, um Ihrem Mann zu helfen?
Das muß er selber wissen. Als iranische Demonstranten vor wenigen Wochen die deutsche Botschaft mit Tomaten und Eiern beworfen haben, hat Herr Kohl sich eingeschaltet und dafür gesorgt, daß Deutsche im Iran nicht gefährdet werden. Die deutsche Regierung hat gute Beziehungen nach Teheran. Es gibt viele offizielle und inoffizielle Wege, um etwas zu erreichen, meinem Mann zu helfen – wenn er noch lebt.
Ihr Mann wollte als Kritiker der Verhältnisse im Iran bleiben, trotz zunehmender Repression. Halten Sie solche Aktivitäten unter den derzeitigen Verhältnissen überhaupt noch für möglich?
Ich glaube nicht. In den letzten Monaten durften im Iran keine Bücher von kritischen Literaten mehr erscheinen. Inzwischen werden sogar Zeitungen verboten, die dem Regime nahestehen – islamische Zeitungen und Zeitschriften, deren Herausgeber oder Chefredakteure selbst Mullahs sind, die ein wenig Kritik geübt haben. Selbst die leisen Stimmen sind verstummt. Zeitungen, die früher in begrenztem Rahmen kritische Berichte veröffentlich haben, tun das nicht mehr. In der Fernsehserie „Hoviat“ (Identität) werden Intellektuelle als Staatsfeinde denunziert. Die Vorwürfe sind immer die gleichen: Spionage für fremde Mächte, sittliche Verdorbenheit, Gegnerschaft zum Islam. Es heißt dann: Wir wissen, welche Botschaften euch bezahlen, damit ihr das schreibt, was sie wollen.
Warum, glauben Sie, hat es der iranische Geheimdienst auf Ihren Mann abgesehen?
Mein Mann war schon zu Schahzeiten ein Regimekritiker. Er saß damals acht Jahre im Gefängnis. Er wollte auch in der Islamischen Republik seine Ansichten und Erfahrungen nicht verbergen, sondern verbreiten. Und er gehört zum engsten Kreis jener, die einen unabhängigen Schriftstellerverband gründen wollen.
Warum übt die iranische Führung überhaupt solchen Druck auf Schriftsteller und Intellektuelle aus – eine kleine Gruppe mit wenig Einfluß auf die Bevölkerung.
Das frage ich mich auch oft. Aber bedenken Sie, daß große Teile der iranischen Bevölkerung kaum über Bildung verfügen. Die Schriftsteller haben die Aufgabe der Aufklärung der Bevölkerung übernommen. Die Gesellschaft dürstet nach Wissen, und das macht die Schriftsteller einflußreich. Zudem: Der Großteil dieser Literaten sind Atheisten. Das heißt nicht, daß sie gegen den Islam sind, daß sie gegen Religion sind. Aber sie sind keine Religionsideologen, sie denken nicht religiös. In den letzten Jahren hat sich unter den Schriftstellern eine Gruppe gebildet, die trotz aller Meinungsunterschiede gemeinsame Forderungen formulieren, ihre Energien bündeln. Trotz ihrer unterschiedlichen Ansichten haben sie gemeinsame Ziele formuliert: Sie wollen Bücher veröffentlichen können, die Grenzen der Zensur durchbrechen. Sie wollen über Kultur und Literatur auf die Gesellschaft einwirken. Die Führung der Islamischen Republik war bisher noch nie mit einer solchen Gruppe konfrontiert. Deshalb fürchtet die Staatsführung diese Schriftsteller.
Es wird in dem Zusammenhang immer wieder auf den „Mykonos“-Prozeß hingewiesen.
Ich weiß nicht, was die iranische Führung vorhat. Alle reden davon. Faradsch hat es selbst in seinem Brief an mich geschrieben. Faradsch ist zwei Wochen vor dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft in Berlin in Teheran verschwunden. Ich fürchte, daß mit ihm irgend etwas geplant wird – eine Falle. Wenn die iranische Führung mit jemandem Schwierigkeiten hat, gibt es immer die gleichen Vorwürfe gegen diese Person: Spionage, moralische Verdorbenheit, Umstürzlertum, Verbindungen zu Oppositionellen im Ausland. Diese Vorwürfe können mit jedem in Verbindung gebracht werden, der dem Regime nicht paßt. Sie basteln einfach ein Akte voller Vorwürfe zusammen. Der „Mykonos“-Prozeß ist derzeit eines der größten Probleme des iranischen Regimes.
Sie selbst leben seit über einem Jahr als politischer Flüchtling in Deutschland. Was hat man Ihnen im Iran vorgeworfen?
Das hat nichts mit Faradsch zu tun. Ich möchte nur über seinen Fall reden. Alles andere könnte das Regime auch noch gegen ihn einsetzen.
Können Sie sich vorstellen, in den Iran zurückzukehren, solange dort die derzeitige Führung an der Macht ist?
Nein, das kann ich nicht. Interview: Thomas Dreger
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