„Eingreifen ist möglich“
■ Helden des Alltags: Jan Saffe, der Herr der Pflanznase in der Oranienstraße
Im Gegensatz zu anderen Städten, wo der Oranienstraße eine gewisse Bedeutung zukommt, ist die gleichnamige Straße in Bremen ein kurzes und bescheidenes Verbindungsstück zwischen Hamburger Straße und Schwarzem Meer. Einzig bei Heimspielen der lokalen Fußballmannschaft wird die Straße wichtig – als Abstellplatz für Zuschauerautos. Nichts fällt auf an diesem Sträßchen, mit einer Ausnahme: Etwa in der Mitte beult sich der Bordstein halbkreisförmig in die Fahrbahn, und wo einst Straße war, ist nun ein Fleckchen Erde. Strauchbestanden. Das ist die Pflanznase von Jan Saffe.
Jan Saffe ist, die Bezeichnung ist kaum übertrieben, der Schrecken der Oranienstraße. Auf sein Konto kommen: eine Fahrradabstellanlage mit fünf Anlehnbügeln im Gegenwert von zwei Autoparkplätzen; und die Pflanznase, die – aufgrund der Enge der Straße kann gegenüber nicht mehr geparkt werden – fünf Parkplätze kostete. Jan Saffe reduzierte mithin die Zahl der Autoabstellplätze in der Oranienstraße von 27 auf 20. Wer Autofahrer kennt, ahnt, daß nicht alle Nachbarn dem Saffe grün sind. Aber Jan Saffe hat etwas ungemein Entwaffnendes, wenn er einen mit seinen extrem blauen Augen anschaut und sagt: „Ich mag Kinder total. Die sind ein Hauptgrund für die Nase.“
Saffe (36) ist abgebrochener Schauspielschüler, gelernter Taxifahrer, Robin-Wood-Unterstützer, Betreuer von Schwerstbehinderten und heute arbeitslos. Seine Liebe gilt der Natur und den Kindern. Ihnen will er Raum verschaffen, den er den Stinkekisten entzieht. Sowas wollen viele, doch kaum jemand macht es. Saffe dagegen hat erfahren: „Es ist möglich einzugreifen.“ Voraussetzung: Hartnäckigkeit.
Im Sommer 1993 stellte er (der ADFC hatte dazu aufgerufen) beim Stadtamt den Antrag, in der Oranienstraße Autoabstellplätze in Fahrradabstellplätze umzuwidmen. Erst geschah nichts. Aber ausdauerndes Anrufen führte im Februar 1994 zu einer Reaktion. Und im April zu einem ersten Eingriff in die Widmungslage der Oranienstraße. Die Stadt finanzierte Farbe für die Straße und Schilder (Fahrradparkplatz); Jan Saffe kaufte Anlehnbügel. 1.100 Mark. „Hatte ich gerade. Geld soll nicht tot auf dem Konto liegen.“
Im Dezember 1995 ging ein weiterer Antrag beim Stadtamt ein. Saffe hatte mit einem grünen Stift ein Stück Oranienstraße zur Grünfläche verwandelt. Das Stadtamt leitete den Antrag weiter, zum Amt für Straßen- und Brückenbau. Das lehnte ab. Saffe legte Widerspruch ein. Hörte nichts. Beschwerte sich. Irgend ein Beamter riet ihm: „Machen Sie doch auf Verkehrsberuhigung.“ Es gab zwar nicht so viel zu beruhigen in der Oranienstraße – aber die Baumnasenidee war geboren. Und ein neuer Antrag.
Einmal ging Jan Saffe aufs Amt. Sich den Menschen anschauen, der seinen Antrag nicht bearbeitete. Der Mensch sagte: „Am besten, Sie vergessen das. Und überhaupt leite ich Ihren Antrag erst mal zum Ortsamt weiter.“ Da schnappte sich Saffe den Antrag und trug ihn selbst zum Ortsamt. „Da saß Frau Puppe. Die war nett.“ Jetzt sollte er erstmal Unterschriften sammeln.
Saffe traf 46 Nachbarn. Saffe machte blaue Augen. 39 unterschrieben. Drei waren dagegen. 30. Oktober 1996, ein großer Tag: Ortstermin in der Oranienstraße. Es traten auf: Herren vom Straßenbauamt, von der Telekom, von den Stadtwerken, von der BEB, von Stadtgrün und vom Polizeirevier. Resultat: Baumwurzeln greifen Rohre und Leitungen an. Da entfuhr einem Straßenbaubeamten der Kompromißvorschlag: Büsche! Eine Pflanznase könnte gehen. Bei 5.000 Mark Eigenleistung.
Geld lag auf dem Konto tot herum. Saffe sagte ja. Und nun ging es irrwitzig schnell. Bauarbeiter rückten an, richteten eine Baustelle ein, gruben Steine aus, schafften runde Bordsteine herbei, kippten Muttererde auf. Saffe ging zum Gärtner, kaufte Spiere und einen Kirschlorbeer. Saffe begeistert: „Wird in anderthalb Jahren zwei Meter hoch. Oder mehr!“ Ein Nachbar steuerte Koniferen bei. Jetzt hat die Oranienstraße eine Pflanznase. Und die Autofahrer toben. Haben beim Stadtamt einen Antrag auf Entfernung der Nase gestellt. Müssen Unterschriften sammeln. Haben aber nicht so blaue Augen.
Wo Jan Saffe das nächste Mal zuschlägt? „Hier nicht“, sagt er, „das muß sich erst beruhigen. Außerdem geht das Geld aus. Man wird ja zum Feind. Das sind Blicke, die man da manchmal abkriegt.“ Und wenn seine Feinde Erfolg haben sollten. Die Pflanznase, wie sie fordern, weg kommt? Dann war nichts vergeblich. Sagt Saffe und hat sehr blaue Augen und lächelt mild: „Weil ich was versucht habe!“ BuS